2003 hätte man Kärbholz bei der Gründung mal sagen sollen, dass sie irgendwann Gefahr laufen, mit einem Album die deutschen Charts zu toppen. Bereits die letzten beiden Scheiben KARMA (2015 auf Position sieben) und ÜBERDOSIS LEBEN (2017, Platz zwei) fanden landesweit riesigen Anklang. Nun ist der Angriff auf die Poleposition eigentlich nur die logische Konsequenz. Doch HERZ & VERSTAND beginnt überraschend verhalten und eher mau. ‘Tabula Rasa’ entwickelt für einen Opener zu wenig Zugkraft, ‘Musizin’ ist zwar gewitzt, drängt sich aber auch nicht als Gassenhauer auf. Erst mit ‘Keiner befiehlt’ lassen Kärbholz die tätowierten Muskeln spielen (und zeigen nebenbei, dass Judas Priest-Riffs selbst im Deutsch-Rock zünden).
🛒 HERZ & VERSTAND bei AmazonAuch ‘Herztier’ entfacht Feuer, und ‘Falsche Alternativen’ ist der politisch motivierte Mitgröl-Hit. Der Rest fällt härtetechnisch moderat aus, dafür ist die musikalische Vielfalt der Nordrhein-Westfalen außerordentlich. Im Vergleich zu den meisten Genre-Kollegen sind Kärbholz alles andere als ein Onkelz-Klon. Auf HERZ & VERSTAND finden sich Anleihen von gediegenen Creed-Kompositionen (‘Mutmacher’), gechillte Akustiknummern (‘All meine Narben’), komödiantische Singer/Songwriter-Nummern (‘Alle Systeme auf Vollgas’) und viel, viel Melodie. Das muss für die Chart-Attacke kein Nachteil sein, zumal auch die Produktion der breiten, überwiegend melodischen Stilrichtung Rechnung trägt. Mir persönlich fehlt aber der Biss.