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Sunn O))) & Ulver: Sonne in der Nacht

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TERRESTRIALS, das gemeinsame Album der Experimental-plus-Schrumm-Rocker, ist in einer draußen hellen, drinnen dunklen Augustnacht 2008 in Oslo entstanden. Es ist das Testament einer sehr lauten, sehr inspirierten Männerfreundschaft, wo jeder den anderen ausschwingen lässt, während sich dem Hörer Cecil B. DeMille-Szenen aufdrängen. Alles so biblisch hier! Und als sie sahen, dass es gut war, da vibrierten ihre Bärte beseelt.

Nein, im Ernst, TERRESTRIALS ist prächtig – und ein Beispiel für die heilsame Reduktion von Ego, die sich einstellt, wenn zwei Bands, in deren Umfeld stets mit Hyperbeln und dem Wörtchen „legendär“ gearbeitet wird, sich eine Weile mal nicht über die Schultern gucken.

TERRESTRIALS besteht aus den Tracks ‚Let There Be Light‘, ‚Western Horn‘ und ‚Eternal Return‘. Das Personal der Originalsession von 2008 waren Sunn O))) [Greg Anderson, Stephen O’Malley, Daniel O’Sullivan] und Ulver [Kristoffer Rygg, Jørn H. Sværen & Tore Ylwizaker]; später kamen noch Gastbeiträge von Ole-Henrik Moe und Kari Rønnekleiv (Bratsche, Geige), Stig Espen Hundsnes (Trompete) und Tomas Pettersen (Schlagzeug) hinzu.

METAL HAMMER sprach mit KRISTOFFER RYGG über das gemeinsame Projekt.

Kris, wie kam es zu der Session? Nach allem, was man hört, habt ihr euch spontan nach dem Sunn O)))-Gig beim Øya Festival 2008 zusammengehockt und improvisiert. Trotzdem wirkt es wie eine schlüssige, zusammengehörige Komposition…

Es war tatsächlich ziemlich spontan – und erleichtert dadurch, dass wir, Ulver, Teil eines Studiokollektivs waren und so überhaupt erst die Möglichkeit hatten, Sunn O))) aufzunehmen. Was an sich schon eine Herausforderung ist, weil sie laut sind und große Verstärker brauchen. Zu der Zeit spielten Stephen [O’Malley], Dan [O’Sullivan] und ich auch zusammen bei Aethenor, und wahrscheinlich kam die Idee daher. Dan war damals noch kein Mitglied von Ulver, und Ulver hatten noch nicht live gespielt. Zu der Zeit war bei uns echt viel los … Ich glaube, es waren die Erfahrungen mit Aethenor, die den Ausschlag gaben.

Was ist seit der ursprünglichen Session passiert? Hattet ihr die Musik erst mal auf Halde gelegt… oder fortwährend daran herumgeschraubt?

Sie ist nur ein bisschen bearbeitet worden – vermutlich weniger, als du denkst. Die Session von damals ist im Grunde intakt. Nur auf dem ersten Track haben wir später die Drums hinzugefügt, und – wo es sich anbot – Geige und Trompete dazugepackt. Das war alles. Der Rest – die Organisation der Tracks – passierte 2008, Anfang 2009. Im Herbst 2012 und Anfang letzten Jahres haben wir am Mix gearbeitet. Es lag schon eine Weile in der Schublade, das stimmt – was aber hauptsächlich damit zu tun hatte, dass uns die Zeit fehlte. Erst als wir aus diversen Gründen alle wieder zusammen in Oslo waren, bot sich die Gelegenheit, es fertig abzumischen und uns auf einen Sound zu einigen. Das ist schon die ganze Geschichte. Es hat nur ein bisschen länger gebraucht.

Hattet ihr an dem bewussten August-Abend schon im Kopf, wohin das Album inhaltlich tendieren sollte? Man könnte das Konzept durchaus spirituell nennen…

Die einzige Komponente, die ich im eigentlichen Sinn spirituell nennen würde, ist dieser eine Text, den wir an dem Abend ausgegraben haben. Er reicht zurück ins Jahr 2004, 2005, zu etwas, das ich für das BLOOD INSIDE-Album geschrieben habe. Der Text war ein bisschen improvisiert, aber er resultierte aus der Stimmung im Studio – und die war „sonnenverbrannt“, ein „Wüsten-frühe Menschheit-Hitzeflimmern“-Szenario, das über unserem imaginären Horizont hing.

Du meinst den Text zu ‚Eternal Return‘, richtig? Der erinnerte mich an die Blake-Eskapaden von Ulver – ein episches Kommen und Gehen, die zyklische Weltsicht…

(lacht) Das betrachte ich als Kompliment! Naja, Blake spielt mehr mit Gott, mit der Bibel als solcher; ich habe nur ein paar biblischen Anspielungen benutzt, vermischt mit dem alten Griechenland sowie Raum und Zeit als zentralen Themen. Das ist alles nicht so klar oder direkt ausgedrückt; man kann den Text ganz unterschiedlich lesen. Ich habe darin auch noch ein paar sprachliche Ostereier versteckt.

Beim Opener „‘Let There Be Light‘ war die Rede von deinem Gesang, aber ich muss zugeben, ich hatte Probleme, ihn zu identifizieren – es sei denn, er wäre dieses tiefe Brummen… ein Ostinato, das man auch für tibetische Hörner halten könnte.

Das ist bloß mein „Om“-Gesang im Bassbereich! Meine Stimme ist überall, in diesem ersten Track, aber im Prinzip singe ich nur den Bass.

Faszinierend – nicht zuletzt, weil es unmöglich ist, die Herkunft dieses Sounds zu orten.

Ich bin froh, das zu hören! Es ist immer gut, wenn man einzelne Quellen nicht unbedingt identifizieren kann. Ich würde sagen: „dem Gesamteindruck zuträglich“! (lacht) Wir versuchen immer wieder, Instrumente auf diese Art zu „tarnen“.

So gesehen ist TERRESTRIALS eine extrem geheimnisvolle Platte. Eine Aufforderung, Sounds und Stimmungen nachzuspüren – aber erst, wenn man den analytischen Anspruch aufgibt, wird sie zu einem umfassenden Hörerlebnis. Und sie bleibt mysteriös…

Von mysteriöser Dichte, stimmt. Darauf haben wir im Mix bewusst geachtet und die meiste Zeit dafür investiert, für iese Illusion von Sound. Unsere Aufstellung war betont locker, aber alle Einzelheiten waren durchdacht – z.B. welche Verstärker wir für die Gitarren nehmen, oder die Entscheidung, alles auf Band aufzunehmen. Das verleiht der Musik Textur. Das ist für diese spezielle Musik ein Schlüsselbegriff, schätze ich: Es geht eher um Texturen als um Noten.

Mit seinem nagenden Hornissensound ist der mittlere Track ‘Western Horn’ der dunkelste der drei. Die Hitze scheint darin förmlich zu stehen. Schon ein bisschen ein Downer, oder?

(lacht) Für uns stand der Track für Afrika. Wir hatten so eine Art musikalischer Erdkunde entworfen, und das hier ist eine Anspielung auf das Horn von Afrika – was in Wirklichkeit im Osten ist. Aber in der Mythologie ist es nun mal der Westen, der dunkel ist; dort befindet sich die Unterwelt. Das ist ein wenig paradox, ja. Vom Ton und Gefühl her ist er definitiv schwärzer, vermutlich Sunn O))) am nächsten, und ein Wortspiel auf Southern Lord. Man könnte sagen, es ist der statischste Track. Ich wüsste nicht, was ich dazu noch sagen sollte; das waren die drei Ideen, die wir in jener Nacht aufgenommen haben. Wir hätten versuchen können, sie in etwas anderes umzumünzen, aber wir haben uns dagegen entschieden. Die Songs sind, was sie sind.

Aber wie geht es dir jetzt damit, nachdem so viel Zeit seit ihrer Einspielung vergangen ist?

Sie waren zwischenzeitlich Geister geworden. Sie jetzt wieder rauszuholen, bedeutete auch, sie mit frischen Ohren zu hören. Für mich fühlen sie sich jünger an. Was sie für mich bedeuten? Das zu sagen, fällt schwer – und wahrscheinlich ist es auch gar nicht nötig; sonst würde ich es für andere Hörer verderben. Aber für mich stecken viele verschiedene Dinge drin. Bezüge zu Americana, fast schon etwas Blues-ähnliches. Ein gespenstisches Feeling – besonders die Geige macht es unheimlich. Aber ich tue niemandem einen Gefallen, wenn ich Musik interpretiere, an der ich selber mitgewirkt habe.

Woher kommt der „spezielle Glanz“, von dem immer wieder die Rede ist, wenn Ulver mit an den Reglern sitzen?

(lacht) Das ist Berufsgeheimnis. Ich kann nicht verraten, was genau wir da machen – das hat viele Aspekte. Hier bedeutete es im Kern, dass wir direkt nach den Originalsession mehrere Wochen an dem Material gearbeitet haben – hier was weggenommen, dort was hinzugefügt, ein paar Zutaten in den Hexenkessel geworfen. Das ist es auch schon.

Die Frage ist aber insofern berechtigt, als der Ulver-Katalog, der in so viele Richtungen verweist, bei aller musikalischen Varietät aber auch eine eigene Handschrift hat…

Ich würde sagen, das liegt mehr an einem Gefühl als an einem bestimmten Sound oder Instrument oder einer Arbeitsweise. Klar gibt es da Platten mit ähnlichen Prämissen, Platten, auf die wir uns immer wieder beziehen. Ich unterhalte mich oft mit Freunden darüber, dass man im Grunde genommen konstant bleibt, dass man die gleiche Musik macht, egal ob man Gitarre, Bass und Schlagzeug oder Synthies und Midi-Programmierung benutzt. Das Klangergebnis kann ständig ein anderes sein, aber zuinnerst kehrst du immer wieder zurück zu deiner eigenen Art, Musik zu machen. Zumindest für mich ist das so; ich habe immer das Gefühl, dass ich dieselbe Musik mache, weil sie für mich emotional aufgeladen ist. Wer weiß, woher das kommt; vielleicht geht das zurück in meine Kindheit… keine Ahnung. Bei Ulver gibt es jedenfalls immer diese gewisse omnipräsente Melancholie bzw. Traurigkeit. Vielleicht klingt das jetzt eingebildet, aber fast scheint es, als wären wir auf einer musikalischen Suche nach Erlösung. Natürlich könnten wir hier jetzt auch über spezifische Details reden, über Einflüsse, seien sie literarisch oder musikalisch, aus dem Leben, aus Filmen, Büchern, Gesprächen… Aber tatsächlich zieht es uns zu bestimmten Themen hin. Wie Erlösung. Wie die Unausweichlichkeit des Verlusts. Die Schlechtigkeit der Menschheit oder, um Tom Waits zu zitieren, ‚there’s nothing kind about mankind“. Das beschäftigt uns seit Jahren. Das hat nicht direkt mit der Musik zu tun, aber es formt unsere Musik von innen heraus. Dieses ganze emotionale Chaos. (lacht)

Ulver haben sich als Performer die längste Zeit rar gemacht. Sunn O))) haben dagegen eine Art „Anti-Rock-Performance“ der Langsamkeit etabliert. Ästhetisch kommt ihr gut mit einander klar – würde das auch auf einer gemeinsamen Tour funktionieren? Kannst du dir vorstellen, TERRESTRIALS (und andere Kollaborationen) absehbar live zu spielen?

Klar kann ich das! Vielleicht nicht als Tour; eher einzelne Termine. Wir haben darüber auch schon gesprochen, aber beide Bands sind extrem beschäftigt, es ist schwer, gemeinsam Zeit zu finden. Zudem wohnen wir in vier verschiedenen Ländern. Um die Sache ins Rollen zu bringen, bräuchte es Ressourcen und ein bisschen Überzeugungskraft. Aber ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass uns der Gedanke nicht fremd ist. Es käme auf den Ort an, vielleicht einen Spielort, auf den wir alle Lust hätten – also, ich wär‘ dabei!

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