Alice In Chains widerlegen alle Zweifler: Mit ihrem alten Kumpel William DuVall am Mikro heben sie nach 14 Jahren Funkstille ein Album aus der Taufe, das den Geist der alten Werke atmet und dem Schmerz über Laynes Tod die Hoffnung auf einen Neubeginn folgen lässt. „Hope – A New Beginnung“ lautet passenderweise der erste Satz von BLACK GIVES WAY TO BLUE, das ohne Übertreibung als eins der erstaunlichsten Alben dieses Jahres bezeichnet werden darf.
„Mann, ich bin so verdammt stolz auf dieses scheiß Album“, freut sich ein frisch geduschter Jerry Cantrell (Gitarre, Gesang) beim Interview in einem Hamburger Edel-Hotel. Mit nassen Haaren, tiefschwarzer Sonnenbrille und neben sich William DuVall (Gesang) sitzt er auf einer spießigen Couch in der großzügigen Hotelsuite und beweist, dass er in den vergangenen 15 Jahren nichts von seiner sympathischen Arroganz verloren hat. Unwirsch wischt er die Frage beiseite, ob er selbst etwas überrascht sei, dass Alice In Chains noch mal ein derartiges Comeback hingelegt haben. „Wir sind keine beschissenen Zimmermänner! Wir sind keine beschissenen Wallstreet-Typen! Wir sind Musiker, und das ist es, was wir tun.“
Auch DuVall scheint sehr vom neuen Werk, auf dem er nun höchstoffiziell die Nachfolge von Staley angetreten hat, angetan: „Wir veröffentlichen nichts, das nicht unseren eigenen Ansprüchen genügt – wir selbst sind unsere härtesten Kritiker! Wenn das neue Album nicht gut wäre, würde es nicht erscheinen.“ Und es ist gut, dieses BLACK GIVES WAY TO BLUE, daran besteht überhaupt kein Zweifel – auch wenn ein neuer Sangesknabe immer eine Risikopartie ist, sei die Band auch noch so genial. Doch DuVall versucht gar nicht erst, den einzigartigen Layne Staley zu kopieren, wohl wissend, dass er daran scheitern würde. „Layne war damals einfach nur er selbst, warum sollte ich also etwas anderes tun? Das wäre ein Vergehen an der Vergangenheit, eine Entehrung Laynes“, stellt der freundliche Wuschelkopf klar.
Man merkt: Alice In Chains stehen zu ihrer Vergangenheit und haben das immer getan – doch mit ihrem vierten Studioalbum fordern sie jetzt ihr Recht auf Zukunft ein. Ob das den Nostalgikern unter ihren Fans gefällt oder nicht. „Viele Leute mögen es herumzunörgeln und Dinge schlecht zu machen, die sie nicht mögen“, weiß Cantrell nur allzu gut, kennt aber auch die Lösung für das Problem: „Wenn du es nicht magst, hör es dir nicht an. Wenn du es nicht magst, wechsle den Sender. Wenn du es nicht magst, unterstütze es nicht, wähle es nicht mit deinem verdammten Geld. Es gibt jede Menge guten Kram da draußen, und du investierst in die Dinge, die dir etwas bedeuten. Wir haben immer in uns selbst investiert – und das hat sich auch stets ausgezahlt.“ Und dann plötzlich bringt der Tour-Manager das zur Tür herein, worauf die beiden Vollblutrocker schon sehnsüchtig gewartet haben: schmierige, fettige, triefende Fastfoodketten-Burger.
Höflich, wie Amis nun mal sind, stürzen sie sich gierig auf die Futter-Tüte und drücken sich erst mal zehn Pommes auf einmal in die Kauleiste. Was sie natürlich nicht davon abhält, munter weiter über die Größe von Alice In Chains zu palavern. In solch familiärer Atmosphäre kann man auch schon mal eine riskante Frage stellen: Ob sie je darüber nachgedacht hätten, die Band anders als Alice In Chains zu nennen? Jerry Cantrells Visage wird erst kreidebleich, dann auf einmal scharlachrot. Man muss Sorge haben, dass er an seinem Burger erstickt. „Ich bemühe mich gerade darum, dass mich diese Frage nicht ankotzt – es gelingt mir aber nicht“, presst er schließlich durch das halb zerkauten Burger-Mus und die knirschenden Zähne hindurch. Doch der Mann wahrt die Contenance. „Das ist beleidigend für Sean, Mike und mich – wir waren also nicht 20 Jahre lang in dieser Band oder was? Ich glaube, wir waren es! Bei Alice In Chains ging es nie um eine Einzelperson, auch wenn wir einen sehr guten Freund und wichtigen Teil der Band verloren haben. Bands verändern sich, Familien verändern sich. Wir haben das verdammte Recht, uns so zu nennen, wie wir es für richtig halten. Wenn es sich nicht wie Alice In Chains anhören würde, dann hätten wir es auch nicht Alice In Chains genannt!“
Herrlich, welch glühende Leidenschaft, unbändiger Stolz und große Musik noch immer in dieser außergewöhnlichen Band schlummert! Alice In Chains sind endlich zurück und bereit für den nächsten Schritt in Richtung Unsterblichkeit.