Sex Ist Eine Schlacht. Liebe Ist Krieg.

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In Berlin herrscht Ruhe vor dem Sturm, Rammstein schicken sich an, ihr erstes musikalisches Statement in diese Welt zu entlassen. Der HERZELEID-Sturm wird losbrechen, dessen sind sich Plattenfirma, Management und Medienvertreter einig. Nur die Newcomer selbst verharren noch in fast panischer Wortlosigkeit. Der Vergleich mit dem Kaninchen vor der Schlange drängt sich dem Betrachter förmlich auf.

Rammsteins Furcht vor der Öffentlichkeit, verbunden mit der Frage: Werden wir gefressen, oder bekommen wir die Absolution erteilt? „Wir haben mit dem Business keine Erfahrung und suchen noch nach einem Konzept, wie wir uns verhalten sollen“, tönt es aus dem Halbdunkeln des Berliner ,Blow Up‘-Kinosaals, in dem Rammstein verkehrte Welt spielen. Die Band brav wie die Pfeifenorgeln aufgereiht in Sitzreihe sechs oder sieben, die Journaille dagegen mit Spotlight direkt vor laufendem Schwarzweiß-Film postiert. Rammstein wollen die Seiten vertauschen, wollen die Fragenden aus der Reserve locken, anstatt selber allzuviel von sich preisgeben zu müssen.

Die METAL HAMMER Juni-Ausgabe 2017: Rammstein, Prophets Of Rage, Avatarium, Dragonforce, Böhse Onkelz u.v.a.

Philosophische Hausmannskost

„Ich finde Fragen grundsätzlich interessanter als Antworten, deswegen weigere ich mich auch prinzipiell zu antworten. Wenn’s nach uns ginge, würden wir am liebsten gar nichts sagen, sondern unsere Musik für uns sprechen lassen.“ Philosophische Hausmannskost der Ostberliner Combo also, die dann jedoch schnell zum branchenübliche Pragmatismus zurückkehrt. „Aber wir geben unser Bestes, denn wir wollen ja nicht mehr fünf Jahre warten, bis die Leute zu uns kommen.“

Das, was hinter vorgehaltener Hand seit Monaten als musikalische Großtat, als ,next big thing‘ angekündigt ist, erfährt hier nun also seinen publizistischen Stapellauf. Rammstein haben ihr Debüt zur öffenlichen (Zer-)Reißprobe freigegeben. Noch sind sich die Beteiligten selber nicht ganz sicher, ob das, was sie persönlich als musikalische Offenbarung einschätzen, letztlich nicht als Rohrkrepierer bereits auf den ersten Metern schlapp macht. Die Geburtswehen waren lang und mühselig, die Niederkunft schließlich sogar schmerzhaft. Daran hat Produzent Jacob Hellner (u.a. Clawfinger) nichts ändern können. Mehr noch: Was im Stockholmer BomKrash-Studio mit ihm erarbeitet werden sollte, entpuppte sich als langwieriges Ziehen und Zerren um Soundvorstellungen, um musikalische Direktiven. Und benötigte schließlich einer Nachbesserung im Hamburger Chateau Du Pape- Studio. Gitarrist Richard Kruspe: „Wir haben in Schweden den Mix abgebrochen, weil uns das Ergebnis zu poppig wurde. Es fing gut an und endete damit, daß wir sehr unzufrieden waren. Hellner hatte eine andere Vision von Rammstein.

Bis hier und nicht weiter

Wir haben gesagt: ,Bis hier und nicht weiter‘. In Hamburg haben wir noch einmal von vorne angefangen, mit neuem Engineer und einer anderen Vorgehensweise, vor allem im Verhältnis der Gitarren zur Elektronik.“ Hellner hatte für eine spitzere, technischere Produktion votiert, hatte Sägegitarren als Vision und den Blick für die Tanzsäle der Republik. Die Musiker hingegen wollten das volle Brett, ein Soundgebaren, indem es nimmst und kracht statt sägt und fisselt. Der kleinste gemeinsame Nenner, auf den man sich im Vorfeld hatte einigen können, war der Begriff ‚Tanzmetal‘. Hellner hörte die Betonung auf Janz‘, Rammstein auf ‚Metall‘. Die sich nun auf HERZELEID offenbarende Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte, sieht das Brachialriff dominant und gleichzeitig die Tekkno-Seite nicht vollends negiert.

Die Konsequenz aus den schwierigen Stockholmer Tagen ist – ganz Rammstein-typisch, trotzig und eigenwillig – die Rückbesinnung auf die eigenen Fähigkeiten. Der Fehler lag im System, behauptet Schlagzeuger Christoph Schneider und weiß auch bereits das Patentrezept, um die Mühen der vergangenen Monate nicht noch einmal durchleben zu müssen. „Wir werden beim nächsten Mal auf jeden Fall vorsichtiger bei der Wahl des Produzenten sein und nur einen Co-Producer hinzuziehen. Wir wissen selber am genauesten, was das Beste für uns ist und wie unsere Songs zu klingen haben. Wir werden so viele Sachen wie möglich alleine machen. Und vor allem so schnell wie möglich. Man kann gute Sachen durch Zeit zerstören. Irgendwann kommt der Punkt, an dem die Nähe zu einem Song nicht mehr existiert und man sich abwendet. Wir haben im letzten Sommer die Vorproduktion gehabt, die war schon sehr lang und zermürbend. Dann mußten wir nach Schweden und wieder aufnehmen. Da war man schon nicht mehr so frisch, hatte schon nicht mehr das gleiche Gefühl für die Songs, das da ist, wenn ein Lied entsteht. Die Energie, die beim Songschreiben automatisch herrscht, muß später bei der Produktion mit viel Mühe künstlich wieder erzeugt werden. Man läuft der Sache irgendwie immer hinterher.“

Was die Musiker auf widrige Umstände schieben, auf nachlassende Frische und grundlegendes Unverständnis ihres Produzenten, liegt größtenteils in der komplizierten Struktur dieser sechsköpfigen Combo begründet. Die Musiker, allesamt auf Kreativfreiheit und Individualität pochend, haben den Perfektionismus zur Glaubenssache erklärt. Sie beißen sich an Nuancen fest, ringen um jeden verdammten Ton. Doch ihr größter Steh-Im-Weg ist gleichzeitig auch die größte Stärke der Band, quasi das Erfolgsrezept: Halbheiten sind tabu. Punkt. Eine Taxifahrt durch die Berliner Innenstadt verdeutlicht den Status, den Rammstein schon vor Veröffentlichung in der zukünftigen Bundeshauptstadt haben. Man war schon lange vor Veröffentlichung des Debütalbums live präsent, hat die Clubs beackert und das Umland mit fulminantem Bühnengehabe belagert. Das Ergebnis prangt in Form klebender üebesbezeugungen an etlichen Kofferraumklappen Berliner Autos. Allerdings identifizierten sich die Fans bereits mit der Berliner/Schweriner Formation, bevor es eigentlich etwas zum Identifizieren gab. Denn Rammstein war bis dato hauptsächlich ein One Night Stand-Gebilde, das man brüllend laut und siedend heiß in Clubs erleben durfte und das am nächsten Morgen schon wieder der Vergangenheit angehörte.

Mit Plattenvertrag und HERZELEID

Nun – mit Plattenvertrag und HERZELEID zu einer Art verfallsresistentem Zeitdokument geworden – werden andere Gesetze gelten. Das vor allem ist es, was die Band noch in Unsicherheit verharren läßt. Bis heute konnte man eigene Unzulänglichkeiten mit schlechter P.A., verkorkstem Monitorsound, kränkelnden Bandmitglieder oder unmotivierten Zuhörern entschuldigen. HERZELEID ist die unwiderrufliche Meßlatte, an dem sich die Öffentlichkeit nun reiben wird. Unbegründete Sorgen? Wohl schon, denn von .eindrucksvoll‘ oder .imposant‘ zu fabulieren, würde dem Album nicht gerecht. HERZELEID gleicht einertonalen Explosion, ist packend und reißerisch zugleich. Die Mär vom brodelnd heißen Crossover/Schwermetall mit seinen grabeskühlen deutschen Texten wird sich schnell herumsprechen. Vor allem der Ruf eines für teutonische Verhältnisse extravaganten Umgangs mit Aphorismen und Wortgebilden eilt den Rammsteins bereits seit langem voraus. .Liebeslieder‘ betiteln die sechs fast schüchtern ihre wortgewaltigen Botschaften, wohl ein Understatement an der Schwelle zur Realtität. „Natürlich, Liebeslieder in weitgefächerter Art“, konstatiert ihr ansonsten wortkarger Sänger Till Lindemann, „Liebeslieder in welcher dekadenten Weise auch immer. Es ist halt auch eine schrille Art von Liebe existent, und die paßt gut zu unserer Musik. Zu einem harten Riff oder einer schönen Melodie hast du immer ein bestimmtes Gefühl. Die Frage ist, was du als Liebe definierst, oder ob du auch in extreme Formen von Liebe vorstoßen kannst.“

Ein nekrophiler Liebesakt

Ein nekrophiler Liebesakt auf dem Friedhof ist also – legt man seinen Text von ‚Heirate Mich‘ zugrunde – jene extreme Form der Zuneigung, in die ein zeitgemäßer Don Juan heutzutage vorzustoßen in der Lage sein muß. ,Mit meinen Händen grab ich tief zu finden, was ich so vermißt, (…) ich nehm dich zärtlich in den Arm, doch deine Haut reißt wie Papier‘ singt Lindemann gruftkühl und nähert sich mit derlei Visionen eher einem weltentrückten Zombie-Flair als irgendwelchen irdischen Gefühlsregungen. Aber auch das gehört irgendwie zur typischen Eigenwilligkeit Rammsteins, genauso wie die urplötzlich ins Französische übersetzten Texte im Booklet ihrer CD, ebenso wie die dort fehlenden Namen der Musiker oder reißerische Textzeilen à la ,Ihr wollt doch auch den Dolch ins Laken stecken, ihr wollt doch auch das Blut vom Degen lecken. Sex ist eine Schlacht, Liebe ist Krieg‘ (‚Wollt ihr das Bett in Flammen sehen).

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Rammstein: Lokaler Konzertveranstalter kritisiert Dresden

Im Rahmen ihrer aktuellen Tournee haben Rammstein vier Mal in Dresden gespielt -- vor jeweils 60.000 Menschen. Des Weiteren gaben sich AC/DC zwei Mal in der Rinne vor jeweils 70.000 Besuchern die Live-Ehre. Aus Sicht des örtlichen Konzertveranstalters Rodney Aust ist jedoch nicht alles optimal gelaufen auf dem Areal neben der Elbe. Auf saechsische.de merkt der Promoter an, dass er unter den momentanen Bedingungen kein Konzert mehr in der Rinne ausrichten würde. "Wir haben uns als Veranstalter nicht willkommen gefühlt", gibt Aust zu bedenken, "das war keine positive Erfahrung." Konkret geht es um Probleme bei Flucht- und Rettungswege sowie den Spielzeiten…
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