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Black Metal Sightseeing: finstere Geschichts-Tour durch Oslo

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Boah nee. Da liegt die gedruckte Fahrkarte neben dir und du kannst es immer noch nicht fassen. Black Metal-Sightseeing. Blink. Klick. Noch mal zurück. Black Metal-Sightseeing: Finde den Fehler. Oder ist da am Ende gar keiner? Seit zwei Jahren ist der organisierte Bus-Trip zu den heiligen Stätten der Szene jedenfalls ein echter Publikumsrenner beim Inferno Festival. 

Anfangs war es eher ein Scherz – der augenzwinkernde Versuch, den aus aller Welt angereisten Festivalbesuchern die Pilgerschaft per Bahn und Bus abzunehmen. Wenn sie schon unbedingt sehen mussten, wo das Unheil seinen Lauf nahm – bitte. Dann konnte man auch gleich einen elaborierten Witz draus machen – und nach so vielen Jahren der leisen Nostalgie frönen: Hätte sie nicht toll werden können, die Sache mit dem Black Metal? 

Unser Impresario, Tourleiter und Großer Organisator ist Anders Odden. 1988 startete er – noch mit Kükenflaum hinterm Ohr – aus dem Dunstkreis von Mayhem heraus die Band Cadaver; später war er Live-Gitarrist für Apoptygma Berzerk, Celtic Frost und Satyricon. Heute agiert er unter anderem als Kurator der Inferno Music Conference. Ein Zeitzeuge, der um ein trockenes Urteil nie verlegen ist und mittlerweile recht sachlich auf den norwegischen Black Metal zurückblickt…

Magical Mystery Tour…

Die Kinder also brav vor dem Bus aufgestellt und eingestiegen! Los geht’s mit einem Abstecher zur Holmenkollen Kapell, am 23. August 1992 angezündet, 1996 wieder aufgebaut. Der Weg führt auf gewundenen Straßen durch den reichen Westen Oslos. Hier sind die Immobilienpreise am höchsten, die Lebenserwartung der Menschen am besten. (Kein Scherz: es lebt sich hier im Schnitt fünf Jahre länger als in den Arbeitervierteln im Osten…) Aus dem Busplayer röhren frühe Mayhem, an den Fenstern ziehen Holzhäuser, Boutiquen und Kulturpaläste vorbei, dann röchelt der Bus auch schon durch den letzten Schnee zur ekelhaft steilen Sprungschanze. 2010/11 war sie Austragungsort des Skisprung-Weltcups, 1973 fand auf dem Gelände das „Ragnarock“-Festival statt, die norwegische Antwort auf Woodstock. Über dem Ganzen thront: eine dunkle Holzkappelle. Mit ihren archaischen Schnitzereien und Teer triefendem Holz erinnert sie an die alten Stabkirchen, und von hier aus guckt man auf ganz Oslo. Als die Flammen im Sommer ’92 in den Himmel schlugen, sah die ganze Stadt zu. „Cool fand die Brandstiftung keiner“, wehrt Anders sich. „Das sah zwar beeindruckend aus, aber… für unsere Musikszene waren die Brände fatal. Sie verpassten den Bands und der Szene ein Stigma, das sie erst in den 2000ern losgeworden ist. Vor drei Wochen brannte wieder eine Kirche; die erste seit 19 Jahren. Zum Glück gab es keine Verbindung zur Szene; das waren ‘nur‘ Kids mit Zündhölzern.“ 

Willkommen in der Hölle

Kids mit mehr als Zündhölzern tummelten sich früher im Helvete, der Platten-„Hölle“ von Mayhem-Gründer Øystein „Euronymous“ Aarseth. „Als Geschäftsmann war er eine Katastrophe“, erinnert Anders sich. „Der Ladenraum war viel zu groß, und Euronymous hatte gerade mal zwei Kartons mit Demos und LPs rumstehen. Das Beste hat er sowieso für sich behalten, anstatt es zu verkaufen! Die Geschäfte liefen miserabel.“ Als Clubraum taugte die Butze dafür umso besser. „Das war ein finsteres Loch, Mann; da musste mancher erst Selbstbewusstsein spachteln, bevor er sich rein traute. Leute mit weißen Turnschuhen flogen sofort raus. Da saß die Antikommerz-Mafia: Alle hockten grimmig rum und starrten die Neuankömmlinge an. Im Hinterzimmer liefen die ganze Zeit über Snuff-Filme.“ Ein Umstand, der nicht ohne Wirkung auf die überhitzten, schlecht belüfteten Teenager-Hirne bleiben sollte. 

„Es war eine kleine Szene, nur eine Hand voll Bands“, fährt Anders fort, „und alle gaben sich elitär. Euronymous war aber wie ein großer Bruder für mich, mein Mentor. Wir haben uns 1987 kennengelernt, nachdem sie DEATHCRUSH aufnahmen und Euronymous und Necrobutcher einen Radiosender kaperten: Die Zwei haben einfach die Show übernommen, den DJ nichts mehr ans Pult gelassen, bis 4 Uhr morgens krasses Zeug gespielt und Mist erzählt. Es war großartig! Als Euronymous‘ jüngerer Bruder on air anrief, nannte er versehentlich seinen richtigen Nachnamen, Aarseth, und so konnte ich Øysteins Telefonnummer ausfindig machen. Ich war 14, und mein Vater musste mich zu Mayhem-Proben fahren! Gigs haben sie damals keine gespielt, einen Sänger hatten sie auch nicht, aber es war das Unglaublichste, das ich je gehört hatte. So fing alles an. Euronymous machte mir Tapes, er unterstützte Cadaver, und ständig hing ich bei ihm rum. Als Mayhem 1990 zu einer Show 40 Tickets verkauften, dachten wir schon, fuck, jetzt sind sie Superstars!“

Während er das erzählt, fährt der doppelstöckige Reisebus durch verkehrsberuhigte Spielstraßen, passiert Gründerzeithäuser in Pastell. Unter den Decken klebt Stuck. Das war nicht immer so. Die Gegend um den mittelalterlichen Hinrichtungsort (das Viertel heißt immer noch „Galgeberg“) galt in den 70ern und 80ern als abgewrackt und schäbig. „Die Mieten waren billig – so billig, dass sogar Euronymous sich hier eine Wohnung kaufen konnte.“ Damit hat die Gentrification Schluss gemacht. Im hinteren Bereich des früheren Helvete hat sich mittlerweile ein Design-Studio eingerichtet, im vorderen ein Café. Und da riecht es an diesem Samstag seltsam streng.

Fusel für die Kellerkinder

Der Geruch kommt aus einer 2-Liter-Flasche purem Selbstgebrannten. Hefig. Keimig. Heavy, mit circa 70 Umdrehungen. Unser Großer Organisator hat einen Freund herbestellt, der das Zeug in unsere Kaffees kippt, während das Cafépersonal betont wegschaut. Denn der Fusel ist nicht direkt, äh, legal – auch wenn es bis vor ein paar Jahren in norwegischen Supermärkten noch kleine Ampullen mit Geschmacksstoffen gab, die man in die daheim angesetzte Mampe schütten konnte. Farblich an das Original angelehnt, in handlicher Haushaltsdosis: Cognac-, Whiskey-, Bourbon-Surrogatextrakte. Mit solchem Selbstgebrannten umgehen Jahr für Jahr nach wie vor Tausende von Norwegern das staatliche Alkoholmonopol und seine Hochpreispolitik.

Den „Kaffee“-Becher in der zittrigen Hand (das Zeug ist pures Nervengift, oder?) stakst die Reisegruppe runter in den Helvete-Keller, den Schauplatz legendärer Foto- und intimer Listeningsessions. Heute einfach ein leerer Raum, keine Watain’sche Lasterhöhle, fällt einzig das „Black Metal“-Graffito ins Auge – und das ist tatsächlich ein Dokument aus der Frühzeit der Szene.

„Jetzt neu mit Euronymous Mord-Site“? Gulp.

Ob man danach wirklich noch um die Ecke in die Tøyengata muss, wo Euronymous 1993 von Varg Vikernes mit 23 Messerstichen getötet wurde? „Jetzt neu mit Euronymous Mord-Site!“ steht im Programm. „Euronymous würde mich dafür hassen“, gibt Anders zu. „Er wäre echt angepisst. Aber in den letzten Jahren haben so viele gefragt, ob sie sehen können, wo er gewohnt hat.“ Wir stehen an der Rückseite eines Wohnblocks aus rotem Backstein, Modell früher sozialer Wohnungsbau. Die Balkons sind nachträglich angebaut, sehen nach 90erjahren aus. Fahrräder, Kinderspielzeug im Innenhof. Anders zeigt auf den 3. Stock. „Das war seine Wohnung. Er und ich, wir hatten uns eine Weile aus den Augen verloren und waren auseinander gedriftet, aber im Sommer 1993 wurden wir wieder Freunde. Eine Woche vor seiner Ermordung hatte er mich zum Essen eingeladen – für seine Verhältnisse ein Festmahl, Rentierfleischklößchen aus der Dose und polnischer Wodka. Dazu muss man wissen, dass Øystein weder trank noch rauchte – aber jetzt wollte er feiern und auf das neue Mayhem-Album DE MYSTERIIS DOM SATHANAS anstoßen. Danach bin ich für ein paar Tage raus aus Oslo zu meinen Eltern gefahren. Als nächstes sah ich ihn im Fernsehen – in der Meldung, ein „Satanist“ sei getötet worden. Ich war schockiert. Am Tag zuvor hatte ich auf seinen Anrufbeantworter gesprochen, und nun sollte er tot sein? Gleichzeitig war mir klar, dass der Mörder ihn kannte, denn nur wenige wussten, wo er wohnte: Auf der Klingel stand ein anderer Name.“

„Hast du schon die neue Burzum-CD gehört?“ unterbricht ihn einer aus der Reisegruppe. Ganz schlechte Frage. Anders schweigt. Dann sagt er, „Nein. Werde ich auch nie.“ Für ihn ist Black Metal an dieser Stelle gestorben, 1993, menschlich und musikalisch. Was damals genau passiert ist, übersteigt auch heute noch die Vorstellungskraft. Egal, was man zur Erklärung heranzieht – Paranoia, Neid, Neurosen -, fest steht nur, dass Menschen an Leib und Seele Schaden genommen haben.

Zurück ins Cyber-Age

Sonnige, breite Straßen, Rudel von Hipstern und Kleinfamilien, die an diesem strahlend schönen Osterwochenende in den Parks von Grünerlokka liegen: Kein Wunder, dass aktuelle Reiseführer diesen Ortsteil zum „Prenzlberg von Oslo“ verklären. Vor ein paar Jahren war das alte Industriequartier staubig und grau. Gerade kurvt der Bus vorbei an Anders‘ alter Wohnstraße: „Frost und Fenriz wohnten hier ums Eck; wir sind uns ständig über den Weg gelaufen. Überall hausten Musiker, die Gegend war unglaublich günstig. Damals habe ich auch Aura Noir und Immortal kennengelernt.“ In den zugigen Wohnungen und Proberäumen von Grünerlokka knüpfte er Ende der 90er neuen Kontakt zur Metal-Szene – die mittlerweile draußen bleiben muss. Für den Space Bunker etwa, eine frühere Schokoladenfabrik mit zahllosen Ateliers, Gig- und Proberäumen, hat das letzte Stündlein geschlagen: Der Komplex wird 2012 abgerissen. Noch proben hier Satyricon, noch hat der Schrott- und Cyberkünstler Space Brain seinen Workshop. Aber die Stadt braucht Platz für Eigentumswohnungen im Chic-Quartier. 

Bei René Hamel alias Space Brain sieht es aus wie in einem Jungenzimmer aus Altmetall – nachdem der Junge mit Schweißgerät, Flammenwerfer und Kettensäge durch ist. Der aus Kaiserslautern stammende Künstler bestreitet unter anderem die Aufbauten für Mayhem, jene Ketten- und Kreuzeslandschaften, aus denen auch schon mal Rinderhälften fliegen. Ein solcher Knochen sorgte beim Konzert letztes Jahr bei einer Sightseeing-Teilnehmerin für eine schwere Kopfverletzung, erzählt sie im Bus: ‚schwer‘ wie Schädel-Hirn-Trauma. Weiß die Band davon? „Nö“, hebt sie die Schultern. „Wenn man zu Mayhem geht, besteht immer die Möglichkeit, dass man Mayhem kriegt.“ Respekt – ist das jetzt Black Metal-Stoizismus oder nur tödlicher Leichtsinn?

An der Bar wartet indes schon das „Moonshine“-Team mit der nächsten Batterie Brutaloschnaps. Diesmal gemischt mit einem pappsüßen Fruchtsaft, den norwegische Mütter ihren Sprösslingen einflößen, wenn sie ihnen Gutes tun wollen. „Als ich diese Tour mit den Journalisten der by:Larm-Musikmesse gemacht habe, sind die reihenweise aus den Latschen gekippt“, lacht Anders. Ein trügerisches Stöffchen – und umgeben von Space Brains Giger-Skulpturen tut es sein Übriges. Man stolpert gegen versengte Puppen, Schaufensterfiguren mit Borg-Anbauten, Skorpione aus Schädeln und Sägeblättern, irrt zwischen apokalyptischem Spielzeug à la Gundam, Steampunk und Terminator umher. Das alles wirkt ein bisschen 90er-mäßig, aber surreal ist die Ausstellung allemal.

Nach zwei Stunden hält der Bus dann wieder vor dem Festival-Hotel. Black Metal Sightseeing: ein Event, das 2011 nur noch die Black Metal Weinprobe getoppt werden konnte. Aber das ist eine andere Geschichte…

Unseren großen Bericht vom Inferno-Festival findet ihr natürlich im aktuellen Juli-Heft des METAL HAMMER. Das Heft kann einzeln und innerhalb von Deutschland portofrei für 6,90 Euro per Post bestellt werden. Einfach eine Mail mit dem Betreff „Einzelheft Metal Hammer 06/11“ an einzelheft@metal-hammer.de schicken.

Generell können natürlich alle Hefte auch einzeln nachbestellt werden – alle Infos dazu findet ihr unter www.metal-hammer.de/einzelheft.

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Datum Das Full Force ist das größte Festival im Osten Deutschlands für die Fans von Metal, Hardcore, Metalcore, Punk & Stoner und findet vom 21. bis 23. Juni 2024 statt. Anzeige: Festival-Ausrüstung mit Rabattcode günstiger kaufen: Decathlon Gutschein Veranstaltungsort Mit Ferropolis fand das Festival 2017 sein neues Zuhause, zentral gelegen zwischen Berlin und Leipzig. Adresse: Ferropolisstraße 1 06773 Gräfenhainichen Full Force Preise & Tickets Tickets für das Full Force 2024 sind aktuell ab 169,95 EUR erhältlich.   Bands Alle Acts in alphabetischer Reihenfolge. Neu bestätigte Bands sind fett markiert. The Acacia Strain Alien Weaponry Alligatoah Ancst Architects As December Falls…
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