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Ofdrykkja: Schwere süße Dämmerung

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Depressive Suicidal Black Metal? Och nee, och bitte. Die drei Schweden von Ofdrykkja sind jedenfalls bedient von diesem Etikett: Seit Jahr und Tag steuert es, wie die Masse die nebligen Kompositionen der Band wahrnimmt, Stichwort: Musik für Fertige.

Die früheren ernsten Probleme des Trios, wie harte Drogen- und Suffkarrrieren, Psychosen, Knastaufenthalt, werden in DSBM-Kreisen zwar gerne als Accessoires aufgelistet, aber: Ofdrykkja haben Besseres verdient. Ihr Mix aus melancholischem Folk und atmosphärischem Black Metal funktioniert auch ohne Kokettieren am Abgrund. Das gilt insbesondere für ihr neues, drittes Album GRYNINGSVISOR (schwedisch für „Balladen in der Dämmerung“). Lest hier das Review zu GRYNINGSVISOR.

Darauf blickt das Trio gelassen in eine melancholische Zwischenwelt, mit Songs wie akustischen Aquarellen. Verzerrte Gitarren und heiser gepresste und gewisperte Vocals verankern Ofdrykkja weiterhin im Black Metal, aber verglichen mit der großen Tristesse ihres Debüts A LIFE WORTH LOSING (2014) und dem tastenden Zweitling IRRFÄRD (2017) ist das Gesamtbild jetzt fast… leicht. Grund genug für METAL HAMMER, sich mit den Songwritern Drabbad und Ahlström sowie Leadsänger Pessimisten (ex-Apati) über das Woher und Wohin bei Ofdrykkja zu unterhalten.

Lösungen statt Probleme

Die Herren, was habt ihr seit IRRFÄRD getrieben? Und: wie geht es euch momentan? Ihr seid mit euren Problemen und Kämpfen ja immer sehr offen umgegangen, daher hoffe ich, die Frage ist nicht zu plump…

Drabbad: Ich glaube, es geht uns ganz gut… Allerdings kann ich da nur für mich sprechen. Jeder von uns hat sich erst mal auf sich und den eigenen Weg konzentriert. Ofdrykkja verlangt allerdings eine Menge Teamarbeit, vor allem zwischen mir und Ahlström, der die Musik schreibt und aufnimmt. Wir haben immer offen über unsere Kämpfe geredet, das stimmt. Heute sind das aber ziemlich andere Kämpfe als vor acht Jahren. Wir sind heute clean und trocken, das Leben ist etwas leichter geworden. Ich persönlich versuche ja, mit dem Flow zu gehen. Die kleinen Dinge schätzen; dankbar für das sein, was ich habe. Die Lösungen statt der Probleme sehen. Solche Sachen.

Wie sind die Songs auf GRYNINGSVISOR entstanden?

Drabbad: Wir haben im Januar 2018 angefangen zu schreiben. Von mir stammen die meisten grundlegenden Riffs. Dann waren wir ein paar Mal im Studio, um die Rhythmusgitarren, Schlagzeug und Bass aufzunehmen. Wie bei IRRFÄRD haben wir wieder mit unserem Freund Pontus aufgenommen, im Studio Cave. Danach haben wir aber noch ein Menge Zeug daheim aufgenommen: Gesang, die Leadgitarren, Elektronik, Akustikgitarren und so fort. Pessimisten ist im Mai von seiner dreijährigen Weltreise zurückgekommen; danach sind wir für eine Nacht zusammen in die Wälder gegangen, wo er jede Menge Fotos von uns gemacht hat.

Bei Ahlström zuhause haben wir die Vocals aufgenommen – draußen sitzend, in einem kleinen Schuppen auf dem Gelände. Ahlström und ich waren während der Aufnahmen in wirklich engem Kontakt, haben Ideen diskutiert und Dateien hin und hergeschickt. Das war alles enorm zeitaufwändig, der Austausch, die Aufnahmen, das Abmischen der Songs… Für den Mix hat Ahlström den Hut auf – zum Glück, denn auf die Art konnte mich bei dieser letzten Etappe zurücklehnen und relaxen.

Drabbad, Ahlström und Pessimisten (v.l.n.r.)

Wege aus der Dunkelheit

Was für eine Geschichte erzählt GRYNINGSVISOR? Mich erinnert das Album an eine Story mit Kapiteln, mit einem Spannungsbogen vom Opener ‘Skymningsvisa’ bis zum Schlussstück ‘Gyrningsvisa’.

Drabbad: Das Albumkonzept ist „Dämmerung“. Pessimisten, Ahlström und ich haben uns seit unserem ersten Album weiterentwickelt, und jedes Album zeigt, wo wir gerade im Leben stehen. Auf dem ersten Album [A LIFE WORTH LOSING] waren wir echt verloren. Wir standen unter Drogen oder Medikamenten, uns ging‘s überhaupt nicht gut. Als wir IRRFÄRD aufnahmen, begannen sich die Dinge zu ändern: Ich war seit einigen Jahren trocken und seit kurzem wieder aus dem Knast draußen. Pessimisten war kurz davor, auf Selbstfindungsreise zu gehen. Er wusste selbst nicht, ob er noch mal zurück kommt. Und Ahlström lebte auf dem Land bei seiner Familie; er hatte mit Meditieren angefangen und interessierte sich jetzt mehr für Spiritualität.

Für uns war das der richtige Weg, um aus der Dunkelheit rauszukommen. GRYNINGSVISOR ist jetzt ein weiteres Puzzleteil, es folgt dem roten Faden unserer Reise. Die Musik ist immer noch sehr traurig und melancholisch, und das wird sich auch nie ändern, denn so sind wir nun mal. Ich denke aber nicht, dass Melancholie etwas Negatives sein muss. Es ist ein Gefühl, und man kann in Traurigkeit viel Schönheit finden. Für mich ist es ein hoffnungsvolles Album. Überhaupt kann man aus der Verzweiflung viel Hoffnung ziehen; unsere Musik und Texte zeigen das.

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Atmosphären erschaffen

GRYNINGSVISOR fühlt sich sehr folkig und reduziert an. Der Sound (mit viel Raum-Atmo, Naturgeräuschen und sparsam akustischen Instrumenten) ist manchmal schon fast brüchig, verletzlich – ein bemerkenswerter Kontrast zu euren nach wie vor kratzigen Black Metal-Elementen. Ein ganz spezifischer Klang…

Drabbad: Ja, das stimmt. Aber diese Richtung einzuschlagen, war für uns natürlich. Schließlich sind wir keine reine Folkband, sondern Ofdrykkja, und als solche versuchen wir, ausgetretene Pfade zu verlassen und unser Ding zu machen. Im Zentrum unserer Musik liegen Melancholie, Emotionen und die Treue zu uns selbst. Klar lassen wir uns von verschiedenen Stilen inspirieren, aber unser Anspruch ist, etwas Neues, Anderes, Einzigartiges zu schaffen, ohne uns an Regeln halten zu müssen.

Die Tracks ‘As The Northern Wind Cries’ und ‘Grey’ fallen aggressiver aus. Was für Bilder verbindet ihr mit diesen Songs?

Drabbad: Ich weiß nicht, ob ich schon beim Riff-Schreiben eine Vorstellung davon hatte, dass sie aggressiver werden würden. Ich schätze, das war am Ende Zufall. Mein ursprüngliches Ziel war jedenfalls nicht, Aggression zu schaffen, sondern Atmosphären.

Warum fiel eure Wahl auch auf das alte schwedische Volkslied ‘Herr Mannelig’?

Ahlström: Das hatte mehrere Gründe. Zunächst mal ist es ein echt leicht verdaulicher Folksong, und für Leute, die sonst nichts mit dieser Musik am Hut haben, ist es eine gute Einführung. Zugleich ist der Song schon von vielen anderen Bands und Künstlern interpretiert worden, sodass selbst unsere nicht-skandinavischen Hörer ihn kennen könnten und, im Idealfall, ein neues Cover im Ofdrykkja-Stil zu schätzen wissen.

Heilung durch die Natur

In ‘Herr Mannelig’ und einigen anderen Tracks hört man – ganz pur, ganz rein – die Stimme von Miranda Samuelsson als Kontrapunkt zum heiseren Gekeif und Geflüster von euch Dreien. Wer ist die Dame?

Ahlström: Über Miranda sind wir auf YouTube gestolpert, als wir nach einer Sängerin für den Track ‚In i natten‘ gesucht haben. Auf ihrem YouTube-Kanal singt sie schwedische Volkslieder, meistens unbegleitet. Und obwohl die Produktion ziemlich lo-fi ist, scheint sofort ihr Talent auf. Die Seele und Leidenschaft in ihrer hellen Frauenstimme hatten mich gepackt, also fragte ich auf gut Glück bei ihr an, ob sie Interesse hätte, mal was mit uns zu machen. Mir ist klar, dass unsere „schwierige“ Geschichte nur eine Google-Suche weit weg ist… Umso überraschter war ich, dass sie sofort für einen Versuch zu haben war. Das war der Beginn unserer Zusammenarbeit. Alles lief so gut – so viel besser als erwartet! – dass sie jetzt auf gleich fünf Songs auf der Platte zu hören ist.

Ihr lasst euch oft in der Natur, in Wäldern abbilden. Dazu fällt mir ein japanisches Sprichwort ein: „Beim Betrachten der Natur werden die Gefühle geboren…“ Was habt ihr in der Natur gelernt?

Pessimisten: Die Natur hat eine große Rolle in meinem Heilungsprozess gespielt. Ich würde sogar sagen, sie hat mir das Leben gerettet. Schon als ich ein Junge war, war die Natur mein Rückzugsort, wo ich Ruhe vor dem Chaos meiner Kindheit hatte. Ein Ort, wo ich mich vor allem und jedem verstecken konnte. Als Kind war ich sehr einsam, und die Wälder waren der einzige Platz, wo mir meine Einsamkeit nichts ausmachte. Die meisten meiner Schultage habe ich dort allein verbracht. Als ich acht war, ist meine Familie in die Stadt gezogen, damit war mein Rückzugsort futsch, dieser einzige Ort, wo ich atmen konnte. Ab dem Zeitpunkt begann mein Leben wirklich, auseinanderzufallen. Ein Jahr später, da war ich neun, haben sie mich auf Antidepressive gesetzt, und ein paar Jahre später habe ich zu trinken angefangen. Ich bin in ein Loch ohne Boden gefallen.

Das einsame Kind, das mit dem Wald spricht

Ich bin völlig aus der Gesellschaft rausgefallen. Fünfzehn furchtbare Jahre ging das so, bis ich wieder meinen Weg in den Wald gefunden habe. Und dann, langsam und Schritt für Schritt, fingen meine scheinbar unheilbaren Wunden an, sich zu schließen. Umso mehr Zeit ich in der Natur verbrachte, desto größer wurde mein Fortschritt. Ich hörte auf, Drogen zu nehmen, ich wurde weniger hasserfüllt und destruktiv. Seither sind noch mal sieben Jahre vergangen, und jetzt, endlich, entwickle ich mich zu der Person, die ich immer sein sollte. Eine erwachsene Version des einsamen Kindes, das mit dem Wald spricht. Die Natur hat mir nicht nur ermöglicht, ganz zu werden, sie hat mich auch zu jemand gemacht, den ich zu mögen beginne. Mit dieser Wandlung sind Nüchternheit und so eine Art innerer Frieden einhergegangen. Ich glaube, jeder in der Band hat mithilfe der Natur einen ähnlichen Heilungsprozess durchlebt. Deshalb sind die Elemente ein so großer Teil des Albums und die Bandfotos im Wald entstanden.

Das Etikett „Suicidal Depressive Black Metal“, das euch gern aufgeklebt wird: Fluch oder Segen?

Pessimisten: Weder noch. Mir persönlich ist völlig egal, wie die Leute uns nennen. Wir sind Ofdrykkja, sonst nichts. Kein Genre oder Etikett kann uns binden. Es ist etwas ermüdend, mit einer Szene in Verbindung gebracht zu werden, die wir nicht mögen, aber angesichts unserer Vergangenheit kann ich den Leuten die Assoziation nicht verübeln.

Und zu guter Letzt: Wird es eine Tour zu diesem Album geben?

Pessimisten: Nein, wir haben noch nie getourt, und wir haben auch nicht vor, das zu ändern.

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(c) Pessimisten
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