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Sigh-Interview mit Mirai Kawashima zu SCENES FROM HELL

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SCENES FROM HELL ist Sighs achtes Album seit ihrer Gründung vor zwanzig Jahren – ein überbordendes, opulentes Black Metal-Grand Guignol, ein Theater der Grausamkeit, für dessen Dauer die Maxime „Weniger ist mehr“ aufgehoben ist, denn bei Sigh-Mastermind Mirai Kawashima ist mehr mehr. Mehr Orchester, mehr erfahrbares Chaos, mehr akustische Kriegsführung.

METAL HAMMER: Mirai, was hat Euch bei SCENES FROM HELL umgetrieben?

Mirai: Das Cover-Artwork von Eliran Kantor (Anm.: israelischer Illustrator, u.a. für Testament, Mekong Delta, GWAR…) lässt schon ahnen, was wir diesmal ausdrücken wollten. Da passiert eine ganze Menge… und „mehr ist mehr“ beschreibt das Album sehr gut! Mir ist klar, dass bei so vielen, einander überlagernden Schichten einzelne Instrumente schwer rauszuhören sind, aber das entspricht exakt dem Höllenszenario, das mir vorschwebte. Stell dir einen Luftalarm vor, den Ohren betäubenden Lärm inmitten von Bombenexplosionen und Sterbenden, das Schreien und Heulen der Verletzten. Ich dachte an die Zeichnungen der Überlebenden von Hiroshima, an die Augenzeugenberichte des Luftangriffs auf Tokio im 2. Weltkrieg, bei dem in einer einzigen Nacht über 100.000 Menschen ums Leben gekommen sind. Dazu kamen Gemälde wie „Die Pest“ von Böcklin, „Der Triumph des Todes“ von Brueghel und so weiter – genau solche Endzeitbilder wollte ich vertonen.

METAL HAMMER: Geht man nach den akustischen Impressionen von SCENES FROM HELL, dann sieht’s in der Hölle aus wie in einer mit Eingeweiden garnierten Metal-Version des Kabinett des Doktor Parnassus, mit Richard Strauß als Hausband – ein Ort, wo die Toten durch puren Sinnesrausch gefoltert werden.

Und so ernst die Inspirationen für SCENES FROM HELL auch sind, die Platte klingt seltsam… verspielt. Verspielter jedenfalls als HANGMAN’S HYMN (2006). Sie treibt auf der selben Strömung wie GALLOWS GALLERY (2005) und bläst dabei jede metallische Konvention aus dem Wasser. Wie viel davon ist nun Wahnsinn, wie viel Methode? Oder anders gefragt, muss man für Sigh-Platten einen überlegenen Humor mitbringen?

Mirai: Soviel vorab: Richard Strauß ist eine sehr gute Referenz! Er hat mal von sich behauptet, es gäbe nichts, was er mit seinem Orchester nicht ausdrücken kann, und ich denke, er hatte recht! Seine „Alpensinfonie“ ist die Nacherzählung einer Bergreise, und mit der „Sinfonia domestica“ ging er so weit, sein Alltagsleben zu Hause zu vertonen – inklusive Sex. So was schwebte mir für SCENES FROM HELL auch vor; deshalb haben die Songs oft etwas Illustratives. Tracks wie ‚Prelude to the Oracle‘ und ‚L’Art de Mourir‘ wohnt einfach diese große Bildkraft inne: Da hast du förmlich den Sensenmann vor Augen, wie er über eine sterbende Welt fegt! Songs wie ‚The Red Funeral‘ und ‚The Summer Funeral‘, die mit ‚Musica in Tempora Belli‘ zusammen eine Trilogie bilden, beschwören ein Kriegsszenario herauf, komplett mit Sirenen, Bombenteppichen, rollenden Panzern und so fort.

Aber um ganz ehrlich zu sein bin ich überrascht, wie oft in Interviews zu dieser Platte schon das Wort „verrückt“ vorgekommen ist. Als wir 1997 HAIL HORROR HAIL aufgenommen haben, hätte ich das viel eher erwartet. SCENES FROM HELL ist vielleicht abwechslungsreicher und eklektischer als HANGMAN’S HYMN, aber ich glaube nicht, dass sie abgedrehter klingt als HAIL HORROR HAIL oder IMAGINARY SONICSCAPE.

Schau, vor gut sechzig Jahren hat John Cage ein Stück komponiert, in dem der Pianist 4 Minuten und 33 Sekunden lang nichts anderes tut, als den Klavierdeckel zu öffnen und wieder zu schließen. Man sollte meinen, dass seitdem jedes denkbare musikalische Experiment schon gemacht wurde, oder? Wir leben schließlich im 21. Jahrhundert. Ich hatte jedenfalls nie vor, SCENES FROM HELL irgendwie „verrückt“ klingen zu lassen, aber da die Szenen den hellen Wahn illustrieren, lässt es sich wahrscheinlich nicht vermeiden. Will sagen, es ist zu 100% Methode.

Was auf unseren Platten allerdings überhaupt nicht vorkommt, ist Humor. Ich kann nachvollziehen, dass manche Parts fröhlicher klingen als andere, aber das ist ein Effekt von Kontrast und Kontrapunkt – so, als würde man die extrem brutalen Szenen eines Horrorstreifens bewusst mit lustiger Musik unterlegen.

METAL HAMMER: Die Notenblätter von SCENES FROM HELL – Auszüge davon konnte man online sehen – sind enorm: Das sind tatsächlich voll ausnotierte Orchesterpartituren. Wie kamen die einzelnen Elemente – die Blasinstrumente, Streicher, die Sigh’schen Band-Parts, die debilen Samples von mexikanischer Disco bis Kriegsgetümmel – dann am Ende zusammen?

Mirai: Die Partituren zu schreiben… war ein echter Krampf im Arsch. Am schlimmsten war die Viola; für deren Notation musste ich den C-Schlüssel verwenden, mit dem ich überhaupt nicht vertraut bin. Und für viele Instrumente muss man die Noten komplett transponieren, was extrem verwirrend sein kann. Ungelogen, ich habe Hunderte von Seiten Noten von Hand geschrieben, das hat mich völlig erledigt. Wir arbeiten diesmal mit „echter“ Trompete, Posaune, Tuba, Waldhorn, Euphonium, Flöte, Piccoloflöte, Oboe, Klarinette, Bassklarinette, Violine, Viola, Cello und Klavier. Dazu kommen alte Keyboards und Akkordeon, und ich spiele Weltmusik-Instrumente wie Sitar, Tabla und Maultrommel. Die meisten Takes habe ich von den Musikern einzeln nach Partitur einspielen und mir schicken lassen, um sie mit ProTools weiter zu bearbeiten, aber einiges – wie das Steichquartett – wurde unter Livebedingungen bei uns im Studio aufgenommen. Dabei haben sich gerade die Streicher als viel aufwändiger und komplizierter erwiesen als erwartet: Klar ziehen sie vor, zusammen zu spielen, aber das hat auch die möglichen Fehlerquellen vervierfacht. Erschwerend kam hinzu, dass sie noch nie zu so schnellem Schlagzeug gespielt haben! Trotzdem – das Resultat ist großartig und war die Mühe wert.

METAL HAMMER: Ein weiterer Hingucker und -hörer ist Sigh-Neuzugang Dr. Mikannibal: Die promovierte Wissenschaftlerin stellte sich 2006 als Foto-Model für HANGMAN’S HYMN vor, entpuppte sich aber auch sonst als Zugewinn. Die bildhübsche, zierliche Japanerin mit Death Metal-Vergangenheit bei 29 Jaguar growlt wie Sau, spielt bestialisch Saxofon und… macht sich beim Einsingen prinzipiell nackig. Dazu predigt sie sexuelle Abstinenz vor den Aufnahmen und mampft gerne Teller kross gebratener Maden. Im Sigh-Studioblog versichert Mirai, das sei keine explizit japanische Sitte… bloß Dr. Mikannibal. Kein Wunder, dass die beiden mittlerweile ein Herz und eine Seele sind. – Mirai, hast du dir was von Mikas Mönch-meets-Dschungelcamp-Gewohnheiten abgeguckt?

Mirai: Nee. Das mit der Enthaltsamkeit versteh‘ ich ja noch; Athleten haben vor Wettkämpfen bekanntlich ganz ähnliche Regeln, aber… Du hast keine Ahnung, wie schnell das Studio leer wäre, wenn ich mich auszöge.

METAL HAMMER: Karussellbremser der Höllenfahrt ist David Tibet, ein im extremen Metal neuerdings oft gesehener Gast. Zuletzt hat der Current 93-Sänger Skitlivs ‚Towards the Shores of Loss/Vulture Face Kain‘ veredelt, jetzt hört man sein sprödes, lyrisches Rezitativ auf ‚The Red Funeral‘, einem der zentralen Stücke von SCENES FROM HELL. In welche Rolle schlüpft er hier?

Mirai: David fungiert als eine Art Erzähler, wie der am Anfang und Ende von Twilight Zone. Es war übrigens Eliran Kantor, der uns bekannt gemacht hat. Zuerst hatte ich David nur gebeten, ein Kriegsgedicht von Wilfred Owen zu sprechen (Anm.: englischer Dichter, bekannt durch drastische, realistische Gedicht aus dem 1. Weltkrieg, gefallen 1918), aber er war so freundlich, einen eigenen Text beizusteuern. Ich bin schon lange ein Fan von Current 93 und Davids Arbeiten, darum war mir klar, dass es großartig würde, aber er hat alle meine Erwartungen übertroffen. Davids Stimme ist so wunderschön – seine Performance hat großartige Atmosphäre!

METAL HAMMER: Um zum Ende zu kommen – versuch‘ bitte mal, das Album in einem Satz zusammenfassen… aber ohne die Wörter „Hölle“, „düster“ oder „schwarz“ zu benutzen!

Mirai: Oh, nee, schwierig, ohne Hölle geht das nicht! Okay, wie wär’s damit: Symphonisch-sinistre Heavy Metal-Gedichte mit dem Hauch des Todes?



 

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