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Cradle Of Filth: das auführliche Interview mit Sänger Dani

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Cradle Of Filth Dani 2010
Cradle Of Filth Dani 2010

2010 AD – Lady Gaga macht es Attila Csihar nach und trägt Fleischlappen… jetzt mal im Ernst, was ist heute noch schockierend?

Wenn sich rausstellt, dass Lady Gaga in Wirklichkeit Marilyn Manson ist.

Wuäh! In unsicheren Zeiten wie diesen ist dieses Album dann „Trostmampf“ für Cradle Of Filth-Fans… Wann kam euch die Idee zu dieser musikalischen Erzählung? Du wolltest doch gar kein Konzeptalbum mehr machen?

Nein, wollte ich auch nicht. Aber Gelegenheit macht Diebe. Und dann dachte ich mir, okay, wenn schon, dann etwas Gotischeres, eine Fiktion, in der Mythologie und Legenden und was weiß ich nicht alles vorkommen können; eher dunkle Fantasie als genaue Fakten und Jahreszahlen und Schlachten und so ein Scheiß. Ich hatte das Gefühl, wir wurden ein bisschen zu sehr Iron Maiden mit dem letzten Album. Die Möglichkeit, wieder lose zu erzählen, hat sich aber erst mit der Musik hereingeschlichen.

Die Musik existierte vor dem Konzept? Habt ihr das Thema dann drumrum gezimmert?

Es existierte nur im Kern, in zwei, drei Songs, die sich zusammen zu fügen schienen, und für mich als Texter war der Job dann, zurückzugehen und die Geschichte von vorne zu beginnen. Die Songs standen mittig, und ich musste die Story vor- und zurückrollen, um sie in die richtige Richtung zu bewegen.

Das Lilith-Thema ist aber ganz schön weit aus seinem mythologischen Kontext gelöst. Templer, Klöster, etc. – die sumerische Lilith würde diese Schwester hier wohl nur bedingt erkennen. Es ist eine Rekonstruktion und nutzt die Namen, aber da enden die Ähnlichkeiten?

Ja, schon; die Story spielt einfach mit bekannten Elementen und Motiven. Die Templer bringen Lilith gewissermaßen mit nach Europa; das ist eine Kraftquelle, die sie anzieht, zusammen mit dem Baphomet Idol. Was auch drinsteckt, ist die Geschichte von Harmonikas Halskette, einem Schmuckstück, das einer Frau angeboten wird und sie ewigem Leben verdammt, es ist ein schlechtes Omen, es bringt Unglück. Nonnen und… dings… halt alles sehr gothic, Neunzehntes Jahrhundert.

Und Victoria Varco wird für Lilith zur ‚Sockpuppet‘?

Ja, schon. (entrüstet) Sockpuppet!

Also komm, Varco auf italienisch auf bedeutet Passage, Transit – die Bedeutung war gewollt, nehme ich an?

Mhhnh nicht wirklich. Sozusagen.

Nicht wirklich, aber sozusagen?

Also, alles was keinen Sinn ergibt… Äh, ich werde mich einfach rausmogeln mit: „Geister führten mir die Hand.“ (lacht)

Verdammt, du solltest ein Buch schreiben. Hast du „Rat Scabies & The Holy Graul“ gelesen? Er ist voll auf dem Rennes le Château-Trip und erlebt da allerhand seltsame Dinge…

Nee, aber klingt cool!

Zurück zu den Themen – was ich an Grundzügen aus den jüngeren Alben gelesen habe, waren im Grunde Variationen auf: Unschuld in Bedrängnis, Hadern mit Gott, und ntaürlich… Sex. Könnte man sagen, dass das Konstanten in deiner Arbeit sind?

Nicht so sehr auf diesem. Dieses dreht sich mehr um Erfüllung, wogegen die anderen eher vom Versprechen handelten – da ging es um die Schwelle zur Veränderung, um bevorstehende Revolutionen, um Profezeihungen vor der Erfüllung. Und hier passiert es nun. Und ich glaube auch, dass da mehr Liebesgeschichte ist als auf den anderen Alben. Bei der Art Band, die wir sind, hast du ja auch nicht so viele Mögli – nee, naja, stimmt nicht, wir haben so viele Parameter wie wir wollen, aber wir singen auch nicht unbedingt von Rennwägen – also nicht, dass ich da nicht Lust drauf hätte (prust!) aber – (prust!) – es gibt schon Themen, die sich für uns besser eignen als andere.

Du hast gerade die Liebesgeschichte erwähnt… mit welchem Charakter identifizierst du dich hier am meisten, Lilith, Victoria oder Isaac?

Die ganze Erzählung, findest du am Ende raus, dreht sich zuletzt weniger um die drei als um einen anderen, größeren Konflikt, in dem sie auch nur Figuren sind. Aber ich würde schon sagen, am ehesten mit der männlichen Rolle.

Okay, die folgende Frage hast du dir selber eingebrockt, als du sagtest, dieses sei das „femininere“ Album, als Gegenstück zu der Gilles de Rais-Platte: wenn du eine Frau wärst, was für eine Frau wärst du?

Oh weia (lacht). Also zuerst, die „feminine“ Seite – ich hab schon geflucht, weil das ja so was von falsch zitiert werden wird, und die Leute werden denken, die Platte sei lalala und irgendwie fluffig – was ich damit meinte, war der Kontrast zu der Brutalität und Maskulinität der Gilles de Rais-Platte. Die war nachgerade… rüpelhaft. Rüde. Wohingegen diese Platte schneller und eleganter ist. Das Thema auch. Das meinte ich damit. Und um den zweiten Teil der Frage zu beantworten, was für eine Frau: eine, die ich gerne im Spiegel sähe.

Du hast es gerade selber angesprochen: die Eleganz der Platte, die Quecksilbrigkeit. Das muss das durchgehend Schnellste sein, auf der Langstrecke, das ihr seit langem abgeliefert habt. Cruelty and the Beast hatte Geschwindigkeit, war aber nicht so strack durchgehend und nicht so detailliert.

Ich glaube, vieles davon – die Rasanz – hat mit unserem neuen Drummer zu tun. Also, was heißt neu, er ist seit vier Jahren dabei und diese ist seine zweite Platte mit uns, aber ich habe das Gefühl, er gerät hier erst richtig in Tritt, findet sein Plätzchen, und wie er manchmal losdrischt, ist unglaublich; das musst du sehen, das glaubt einem keiner. Er ist unglaublich beweglich. Ergo kommen hier die Puzzleteile glücklich zusammen. So, wie er sich beim Songwriting eingebracht hat, wurden hat erst viele Sachen erst möglich. Unser Verhältnis, wo wir aufgenommen haben – das trägt alles dazu bei.

Aber Paul ist nach wie vor der Hauptsongwriter; wann witterte Martin seine Chance, hier durch die Mitte abzugehen?

Klar, aber schau, unsere Ideen wirbeln ganz schön rum. Die werden quer durch die Welt geschickt. Sicher spielen wir damit im Proberaum herum, sicher passiert da einiges bei Soundchecks, aber da jeder in einem anderen Teil der Welt wohnt, ist das viel Daten-Pingpong. Jeder geht ins Studio, wenn er Zeit hat, und nimmt seine Tranks auf, etc., und dann treffen wir uns in einem Liveszenario wieder.

Wie drastisch haben sich die Songs verändert, von der embyronischen Phase bis jetzt?

Manche sehr, andere so gut wie gar nicht. Am meisten rumlaviert habe ich glaube ich mit dem ersten Titel, den wir geschrieben habe – das war Deceiving Eyes, und das ist auch mein Lieblingssong. Der erste Song ist immer ein Knackpunkt, ein ganz wichtiger Moment. Da versuchst du dich zu etablieren, deine Stimme, den Ton und das Gefühl zu finden, und mit dem ersten Song verbringen wir immer die meiste Zeit, weil er die Richtung eines Albums bestimmt.

Seid ihr irgendwo in unerwartete Schlingereien gekommen?

Ja, am Schluss, bei den letzten fünf Songs für die Limited Edition. Sie gehören nicht zur Story selbst, und es sind auch keine Covers, also einfach fünf Stand-Alones, und den letzten Song fand ich am schwersten – es war das Arsch-Ende der Studiozeit, und 15, 16 Songs sind echt genug, egal für welche Band… Zumal, da einige Songs mehr Tempowechsel und Versatzstücke haben, als manche Indieband auf einem ganzen Album hat… (lacht) Nach 16 Songs war ich echt nur noch so: Ughh uhhh uhhh, ich kann nicht mehr! So mühsam! Hilfe! Hilfe! Der Dampf war einfach draußen. Wenn du drei Monate im Studio sitzt und keine Sau siehst und die Nächste durcharbeitest…

Dann hockst du in Derbyshire und findest deine Stimme nicht mehr?

Die Stimme war da, schlimm war nur die Langweile! Und die Leute! Die Leute! Wir waren übrigens in Suffolk. Nur 15 Meilen von meinem Haus entfernt, also ein Klacks, aber wir arbeiten immer so bis 2,3 Uhr morgens, da sehe ich meine Familie nur ein, zweimal die Woche. Es wär‘ egal, wo wir aufnehmen, glaub‘ ich.

Und dann kommst du heim und findest deine Tochter beim Justin Bieber-Hören.

Oder so ähnlich, genau! (lacht)

Waren eure ersten tentativen Pläne nicht, das Album im Mai oder Juni 2010 rausbringen?

Ich glaube…äh…

Oder war das nur geschmeidiges Blahblah?

Das war ganz klar Blahblah, direkt, nachdem wir den Deal mit Peaceville abgeschlossen haben; jede Firma hätte das Album gern einen Tag nach Abschluss. Nee, ich musste ja irgendwas sagen, also… hab ich halt irgendwas gesagt.

Es ist immer noch sehr leicht für viele Metalfans, sich über Cradle lustig zu machen, meist ohne sich eingehender mit euch befasst zu haben. Welcher Tort, welche Ablehnung hat am meisten wehgetan?

Ich kann das alles gut ignorieren, und ich kann das schon lange. Weißt du, es ist lustig, ich bin ganz gut befreundet mit King von Gorgoroth; wir spielen in einer Band zusammen, und als Gaahl sein Coming Out hatte, dachte ich, whoa, das wird alles gut aufmischen, was werden sich alle das Maul zerreißen. Ich dachte auch, dass King damit Probleme haben würde – und dann hatte keine alte Sau ein Problem damit. Das war so ein bisschen ein Augenöffner. Ich meine, whoa, what’s the fucking point? Aber wir hatten in der letzten Zeit auch gar keine richtig bösartigen Anwürfe mehr. Die harscheste Kritik kommt eigentlich, um ehrlich zu sein, von unseren Hardcore-Fans, von dem harten Kern, der alles analysiert und auseinander nimmt, jeden Text, jede Wendung, jeden Sound, jedes Interview.

Wenn man sich den Tag versauen will, muss man ja nur in den Foren gucken…

Das mache ich überhaupt nicht mehr, zum einen, weil ich die Zeit nicht habe, und zum andern, weil es ist, wie du sagst: Das kann dich echt gut deckeln

Du bist gerade in einem Onlinevoting für das „Maskottchen für Suffolk“ gelandet – … Um Himmels Willen, wie ist das zustande gekommen?

Das ist eine Liste der hundert bekanntesten Landschaften und Features und Personen aus Suffolk – und Suffolk ist in Großbritannien einigermaßen bekannt, es hat ’nen guten Namen, und … total absurd, ich weiß! Da waren wohl einige Fans dahinter. Als ich zuletzt geschaut habe, war ich auf Platz 2 – (lacht) es ist cool, denn so kriegen Leute, die hier leben, ohne die Band zu kennen, auch mal was von uns mit. Und wäre das nicht geil? Wenn ich meine eigene Straße hatte?!

Vor allem, wenn du dich gegen eine Konkurrenz aus Bier und Landschaften durchgesetzt hättest.

Naja, Konkurrenz ist zuviel gesagt. (lacht)

Als du gesagt hast, du seist froh, die „künstlerischen Beschränkungen“ eines großen Labels los zu sein – gab es dafür konkrete Anlässe?

Den meisten Rummel gab es um das Thornography-Cover, und ich sag‘ immer noch, wenn du das aus lauter Angst und Bedenken zurückgehaltene Originalcover und das edierte Bild neben einander hältst, sind die Unterschiede so minimal, dass es lächerlich ist. Nein, wir haben uns fair getrennt, Roadrunner und wir, also ohne harsche Gefühle. Es war nur… Ich denke, es ist das beste Klima, um sich selbständig zu machen bzw andere, direktere Wege zu finden, die eigene Kunst zu erforschen und zu vermarkten. Sowas halt. Tourneen leiden unter eingebrochenen Zahlen, die Downloads haben längst die physischen Verkäufe überholt, da ist es eine gute Zeit, die Mittelsmänner zu streichen. Das tut anfangs echt weh, und ist ein Lernprozess, aber am Ende merkst du, dass du auf die Art die Dinge genau so machst, wie du sie immer machen wolltest – ohne rumzueiern, ohne vorauseilende Kompromisse.

Und dieses Album schaut wirklich weder links noch rechts, guckt nicht nach der Konkurrenz, lebt in seinem eigenen Tümpel… Ist das eine Befreiung, so ungebeugt und ungefällig, wie es jetzt klingt?

Wir haben bewusst versucht, nicht allzuviele Einflüsse aufzunehmen und nichts anders zu hören, während wir im Studio waren. Im Studio haben wir nur Soundtracks gehört, wie immer, und 80erjahre Haarmetal, Kiss und Wasp und so, um nicht unbewusst was aufzunehmen. Ich glaube, ich habe in der ganzen Zeit nur das neue Tryptikon-Album gehört. Und das ist ja eine Million Meilen von uns weg. Naja, 10 Meilen.

Wie denkst du über eure klassischen Arrangements und die Chöre?

Die sind eher subtiler, als Textur gedacht.

Das neue Dimmu Borgir-Album scheint das ganze Gegenteil zu sein, in terms of sheer massiveness…

Well there’s massiveness and there’s messiness.

Ist euer Sound immer noch so very british, wie tea time?

Ich weiß nicht; wir haben Leute von überall her, eine Amerikanerin, ein Tscheche… da weiß ich nicht, wie relevant das für England ist. Was nicht heißt, dass ich nicht zustimmte; es hat ein sehr englisches Feeling. Aber vielleicht hängt das eher damit zusammen, dass wir wollen, dass die Songs eine Klarheit haben, dass die einzelnen Noten gehört werden, statt zerquetscht. Das schwierige, zumal wenn du ein Konzeptalbum machst, ist, aus den Songs das Essenzielle rauszuarbeiten, statt es zuzuschütten. Sie sollen sich zu individuellen Songs entwickeln, mehr als nur die Speichen eines Rades sein.

Du hast diesmal wieder weniger cleane Vocals als zuletzt benutzt, kreischst wieder mehr. Also nicht mehr die ganz große Palette?

Nee, hörma, es sind schon verschiedene Techniken! Aber es ist ein direkteres Album, klar.

Letzte Frage: Was treibt dich zu diesem Zeitpunkt kreativ um?

Alles, um ehrlich zu sein! Also, alles mögliche. Momentan ganz stark: der Herbstbeginn. Das inspiriert mich total, abends bei offenem Fenster sitzen, die Luft wird kühler, die Blätter fallen… das ist magisch. Gerade katapultiert mich aber auch das Album vorwärts, das macht mir wirklich Spaß. Wir kauen schon an den Trensen. Das Album für die Leute illustrieren. Daheim sein, Flame schauen, mir den Wanst vollschlagen. Ach, einfach alles!

Cradle Of Filth Promo Bild
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(Un)endlich viel Zeit: Sechs Metal-Songs über 25 Minuten

Ihr wisst nicht, was ihr die kommenden vier Stunden, vier Minuten und 56 Sekunden tun sollt? Wir haben eine Idee: Hört die folgenden sechs Songs durch. Die haben nämlich eine gemeinsame Spielzeit von etwas über vier Stunden und füllen damit lange Abende in Corona-bedingter Isolationshaft. Anmerkung: Wie immer erhebt auch diese Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 01:19:23 – The Great Barrier Reefer (Bongripper) Mit einer Länge von einer Stunde, 19 Minuten und 23 Sekunden führt ‘The Great Barrier Reefer’ unsere Auflistung ganz klar an. Und das ist kein Zufall. Die Stoner-Doom-Formation Bongripper steckte sich nämlich ein ganz besonderes Ziel: Die…
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