Im Moment ist in den Medien ja mal wieder die Oktoberfest-Saison. Genau das, was sich jeder im Ausland unter Deutschland vorstellt, wird auch vorgeführt. Besoffene Porsche- und BMW-leasende BWL-Studenten feiern was das Zeug hält und es wird gesoffen, dass die Isar stinkt wie die Pissrinne im Steigerwaldstadion. Hier regt sich keiner über angeheiterte Tischtänzer oder komplett komatöse Alkoholleichen auf. Saufen ist hier eben Kult und gehört zum guten Ton und sogar ich sehe ein, dass eine Maß Orangensaft scheiße in der Hand liegt und zudem dem freistaatlichen Kulturerbe ganz und gar nicht gerecht wird. Und sind wir mal ehrlich: dem erfahrenen Metal-Festival-Besucher ringen die Zustände in einem Bierzelt auf der Wiesn nicht mal ein müdes Lächeln ab. Verglichen mit einem Spaziergang über den Wacken-, Full Force- oder Summer Breeze-Zeltplatz ist selbst die härteste Oktoberfest-Party lächerliche Kinderkacke.
Aber bemerkenswert ist die Tatsache, dass jeder glaubt, die besoffenen Stino-Typen, die im Oktoberfest-Feature im Boulevardmagazin der Wahl in die Kamera lallen, stehen am nächsten Tag wieder putzmunter in der Sparkassenfiliale am Schalter oder bei Audi am Fließband, während die verlausten Gammler aus dem Wacken-Festival-Bericht ja sowieso alkoholabhängig und obdachlos sein müssen. Die Eltern, die zu Hause sitzen und über den schlechten Einfluss auf ihre Kinder grübeln, haben garantiert keine Szenarien wie das Oktoberfest auf dem Schirm, sondern sinnieren eher über die Drogenhölle auf den Metal-Festivals dieser Welt. Aber warum ist das so? Ich glaube, irgendwie fehlt der Metal-Szene die Scheinheiligkeit! Hier ist Saufen eben nicht nur zum Fasching oder zum Volksfest Kult, sondern gehört quasi zum ideologischen Fundament der Szene. Während der Industriemanager seinen Wodka heimlich in der Schreibtischschublade hat, gehört die Pulle Whisky mit aufs Band-Foto. Trotzdem wage ich zu behaupten, dass in vielen Parlamenten unserer Republik mehr Alkoholiker zu finden sind, als bei einem Tankard-Konzert im Frankfurter Batschkapp.
Doch ich denke, diese in der Metal-Kultur anzutreffende Normalität von Alkoholmissbrauch ist nicht weniger gefährlich, als die Tabuisierung im Rest der Gesellschaft. Natürlich ist Lemmy Gott, aber darf ich deshalb seinen beeindruckenden Alkoholkonsum zum totalen Kult erheben? Ist das nicht genauso gefährlich wie ein Geistlicher, der gern und regelmäßig zuviel vom Messewein nascht und bei dem die ganze Gemeinde wegsieht? Oder würde es noch mehr Kult sein, wenn Lemmy am Alkohol krepiert? Der Marlboro-Cowboy hatte ja auch Lungenkrebs…
Versteht mich nicht falsch, ich rede hier vom Alkoholmissbrauch und nicht von Alkoholgenuss. Aber wo da die Grenze ist, das wissen doch selbst Fachleute nicht. Hat nicht jeder in seinem Freundeskreis jemanden, bei dem man eigentlich mal nachfragen müsste, ob das noch ein normales Trinkverhalten ist? Zumindest mir geht das so. Man merkt sehr schnell, dass es ein deprimierend erfolgloses Unterfangen ist, demjenigen helfen zu wollen. Diese Hilflosigkeit macht mich extrem wütend und frustriert. Es gibt einfach keine Lösung für so etwas. Wenn man dann mindestens vierzig Jahre zu früh eine Einladung zur Trauerfeier bekommt, macht man sich endlose Vorwürfe.
Wie viele gute Leute hat uns die Alkoholsucht schon gekostet? Meistens hört man ja immer nur von Herzstillständen oder gesundheitlichen Problemen, was genau dahinter steckt, kann man meist nur ahnen. Mit fehlt Jesse bei Napalm Death auf jeden Fall! Was wird denn aus der nächsten In Flames Platte ohne Jesper?! Die Metallica-Stories sind weithin bekannt… Die Hälfte der Dismember-Konzerte meines Lebens waren aufgrund des Alkoholpegels gewisser Band-Mitglieder ungenießbar. Und haben es viele Fans nicht langsam satt, Children Of Bodom-Alexi nur noch beim „fuck this fucking fuck“-Lallen zuzuhören!? Aber ist es auf der anderen Seite nicht auch so, dass ohne eine alkoholisierte Party-Stimmung die Hälfte der Shows und Parties nur halb so toll wäre? Gibt es so was wie ein Harald Juhnke-Phänomen, bei dem bestimmte Leute ohne eine gewisse Schlagseite nur halb so genial sind und die Meute sie gar nicht anders haben will!?
Es ist nun mal ein verdammt schmaler Grat und zuallererst muss jeder auf sich selbst aufpassen! Das Problem ist nur, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt der Alkoholsucht derjenige eben nicht mehr auf sich aufpassen kann, obwohl er glaubt, genau das noch zu können. Es kann aber auch nicht einfach jemand anderes übernehmen. Rine extrem frustrierende Erkenntnis.
Wobei: bei Lemmy bin ich mir nicht ganz sicher. Wahrscheinlich lebt der gewiefte Hund gesünder als Prof. Hademar Bankhofer, und seine Roadies müssen Apfelsaft in Jack Daniels-Flaschen füllen. Das wäre zwar cool, aber irgendwie dann doch nicht so richtig Kult.