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Ragnarök-Festival 2023: Düstere Gefilde

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Lichtenfels begrüßt seine metallischen Gäste in diesem Jahr mit bedecktem Himmel. Die Endzeitstimmung, die ein Festival mit Namen Ragnarök vermuten lassen würde, kommt aber mitnichten auf. Im Gegenteil: Die schwarz Gekleideten, die um die Stadthalle strömen, sind guter Dinge. Für viele beginnt mit dem Ragnarök-Festival die Saison. Und den Spaß lässt man sich dann auch nicht von grauem Wetter und dem gen Abend einsetzenden Tröpfeln verderben.

Donnerstag, 13. April

Aber was heißt Spaß: Die Black Metal- und Pagan-Fraktionen haben ihre eigene Vorstellung von einem ausgelassenen Abend. Das erste Mal im Takt genickt wird bei dieser Ausgabe des Festivals zu Fjoergyn. Diese widmen – passend zur düsteren Szene – ironisch einen Song der katholischen Kirche, fordern zum Tanz für die Pest auf und holen für die zweite Hälfte des Auftritts brutale Verstärkung auf die Bühne. Veranstalter Ivo Raab höchstpersönlich steuert Gesang bei und verhilft den Jenaern zu einem gelungenen Auftritt.

Passt zu Fjoergyns Songwidmung: Ein benachbartes Gebäude in Lichtenfels mit christlichen Aufforderungen.

Doch bereits während Fjoergyn auf der Bühne stehen sowie bei Finsterforst nach ihnen, wird mit einem einzigen kurzen Blick durch den Raum klar, wer der Hauptact des kurzen ersten Abends ist. Eine überwältigende Menge ist in Shirts der US-Amerikaner Uada gekleidet, und für all jene, die unvorbereitet gekommen sind, verkauft der Merch-Stand ein halbes Dutzend Motive. Dazu passend werden die Kapuzenträger dann auch gefeiert. Wirklich sehen kann man die vier Musiker zwar nicht, doch auch Schemen vor sporadischem Licht reichen für Jubel aus dem Publikum aus, als sie ihren Auftritt mit dem Titelsong des aktuellen Albums DJINN (2020) beginnen. Aller Applaus ist berechtigt, denn auch wenn die Nebelgestalten kaum mit den Fans interagieren, klingt Uadas Auftritt doch ebenso toll, wie ihre Bühnen-Atmosphäre wirkt.

Fjoergyn @ Ragnarök 2023

Nach dem Ausklang mit der Mosher’s Night-Disco legen sich die Metalheads das erste Mal beim 18. Ragnarök-Festival auf dem kalten Sportplatz oder in einer benachbarten Halle schlafen.

Uada @ Ragnarök 2023

Freitag, 14. April

Am zweiten Tag ist der Dresscode dann nicht mehr so eintönig – wenn auch nach wie vor einheitlich. Die insgesamt knapp 4.300 Besucher machen den Klischees wirklich alle Ehre; andere Farben als schwarz oder Brüche im „Merchandise zu Kutte und Springerstiefeln“-Dresscode sucht man hier länger als bei anderen Festivals. Bei XIV Dark Centuries, die nach Helgrindur als zweiter Act des Tages auftreten, finden sich immerhin einige Leute in Gewandung. Unabhängig der Kleidung jedoch motivieren die Thüringer das Publikum gut zum Feiern. Danach wird es erstmal wieder düster. Die Lörracher Black Metaller Firtan starten mit einem neueren Song in ihren Slot – generell ist ihre Setlist vom aktuellen Album MARTER (2022) geprägt. Das kommt gut an, vor allem, als Violinistin Klara Bachmair die Bühne betritt. Auch die Band weiß, was sie an ihrer Geigerin hat, und so gehören die letzten Minuten des Auftritts nur ihr. Auf ‘Wogen der Trauer’ folgt ein mehrminütiges Solo als Ausklang der energiegeladenen Show.

Auch nachfolgend wird die Frauenquote des Festivals ein wenig gehoben. Die Franzosen Aephenamer bieten die einzige Leadsängerin dieser Ragnarök-Ausgabe. Marion Bacoul überzeugt mit Growls und opernhaften Einlagen – so sehr, dass sogar ein Security auf der Barrikade stehend mittanzt und headbangt. Asenblut holen daraufhin als erste den Ernst der vergangenen Jahre in die Lichtenfelser Stadthalle: Sänger Tetzel spricht die Corona-Zeit an. Anstatt dem Auftritt einen Dämpfer zu verpassen, sorgt sein Dank ans treue Publikum aber eher für mehr verdienten Beifall. Dieser zieht sich auch über die folgende Show von Groza hinweg fort. Zwar gehören auch diese zur in diesem Jahr stark vertretenen Fraktion der verhüllten Schwarzmetaller, die mehr auf Atmosphäre als aktives Publikumsanheizen setzen, doch den Ragnarök-Besuchern reicht das. Dennoch geht der Gesang von P. G. etwas unter.

Fans auf dem Ragnarök-Festival 2023.

Ragnarök bietet besondere Auftritte

Auf Obscurity folgt dann der erste Auftritt, der im Lineup besonders vermerkt ist. Wolfchant feiern 15 Jahre A PAGAN STORM (2006). Das muss allerdings verzögert beginnen, denn die Technik spielt den Niederbayern einen Streich. Erst ist nur Musik vom Band zu hören, dann bricht die Gruppe den Versuch, selbst zu spielen, mit einem knappen „Sorry“ wieder ab. Zehn Minuten vergehen, bis alles klappt und die fünf Musiker richtig loslegen können. Die Songs ihres Zweitwerks, zu dessen Releasezeit die Band erstmals beim Ragnarök auf der Bühne stand, erhalten dann allerdings einen Moshpit.

Ebenso freudig zu spielen wie die Jubiläumsband zuvor zeigen sich auch Ellende. Kopf L. G. vermag es wie kein zweiter, zwischen depressivem Gesang und breit österreichischen „Danke, ihr seid großartig“-Rufen hin und her zu wechseln. Das ganze Festival über bedankt sich kein Künstler so häufig beim Publikum wie er, der mit dem bemalten Gesicht und dem mit Knochen behängten Outfit doch eigentlich so gar nicht freundlich aussieht. Vielleicht gibt er sich aber auch in Wissen um die folgende Band extra viel Mühe: Månegarm spielen ihr erstes von zwei Sets an diesem Wochenende. Dieser erste Auftritt ist rein akustisch – und eine der am besten besuchten Shows des Festivals. Dass es zwischendurch Probleme mit seiner Gitarre gibt, lächelt Frontmann Erik Grawsiö sympathisch weg. Zurecht: Der Auftritt ist wirklich sehr schön, im Publikum wird Standard getanzt und zum Bathory-Cover ‘Mother Earth Father Thunder’ ordentlich mitgeschunkelt. Applaus, Zugabe-Rufe und ein grinsendes „Beat this, Hypocrisy“ später verschwinden Månegarm nach einer zu kurzen Stunde wieder.

Peter Tägtgren und seiner Truppe fällt es schließlich wirklich schwer, die Landsleute zu übertreffen. Schlecht ist der Auftritt nicht – er beginnt lediglich zehn Minuten früher als angekündigt, weshalb sich die Halle erst während der ersten Songs so richtig füllt. Zusätzlich machen Tonprobleme es Hypocrisy schwer, klingt es doch kurzzeitig von der falschen Seite der Doppelbühne aus durch die Stadthalle. Trotzdem ein gelungener Abschluss des zweiten Ragnarök-Tages.

Samstag, 15. April

Was am ersten Abend noch zu vernachlässigen war, ist inzwischen lästig geworden: der Regen. Mit der Kälte kommt man noch irgendwie klar, doch nasse Kälte wird auch den härtesten Metalheads irgendwann zu viel. Der Zeltplatz ist demnach leerer und ruhiger, als man es üblicherweise von Festivals kennt. Heißt allerdings, dass all diejenigen, die nicht länger als sonst im Zelt bleiben oder die nahen Supermärkte und Cafés aufsuchen, auf dem Konzertgelände zu finden sind.

Früher Spaß trotz Nässe

Begonnen wird der letzte Tag des Ragnarök-Festivals 2023 mit den Islinger Musikanten sowie Frühschoppen – auf Metal-Festivals hat Volksmusik ja schon Tradition. Je nach Ansicht – man bedenke die Blechbläser – metallischer geht es dann mit Dark Embrace weiter, gefolgt von den Schweizern Cân Bardd. Die beweisen, was sich am Vorabend als Theorie bei Månegarm entspann: Das diesjährige Ragnarök-Lineup ist düsterer als sonst, weshalb das Publikum die folkigeren Gruppen doppelt so nötig hat. Hier ein wenig mitklatschen, dort ein bisschen grölen, dann ist das Gemüt wieder bereit, in dunklere Gefilde abzutauchen. Das geht gut bei Enisum und Agrypnie, deren Sänger Torsten das Publikum an diesem Tag nicht zum letzten Mal gesehen haben wird …

Agrypnie @ Ragnarök 2023

Doch erstmal heizen Kaunis Kuolematon und Wormwood ein, bevor Schammasch die Bühne betreten. Ein „Best Dressed“-Preis ist ihnen in den goldbestickten Roben sicher, und auch musikalisch liefern die Basler ab. Das langsame Klavierintro und die Nebelschwaden steigern sich zu dunklem Klargesang in ‘Metanoia’, womit bewiesen wäre, dass auch tiefschwarze Projekte eingängig sein können.

Schammasch @ Ragnarök 2023

Highlights zu später Stunde

Auf Graveworm und Thyrfing folgt dann, worauf das Ragnarök nicht einmal 24 Stunden warten musste: ein weiteres Set von Månegarm! „It feels like yesterday“, scherzt auch Erik Grawsiö. Dann lässt die Band den Heavy Metal folgen, den sie gestern ankündigten. Und wieder kommen sie gut an, auch wenn ihr Frontmann zu Beginn über die eigenen Songtitel stolpert und Sängerin Ymer Mossige-Norheim heute nur für die zweite Hälfte des Auftritts dabei ist.

Månegarm @ Ragnarök 2023

Mit Harakiri For The Sky folgt dann wieder der Bruch in die Düsternis. Auch sie spielen laut Plan ein „Special Set“, wobei sie nicht erklären, worin genau dieses besteht. Stattdessen lässt Sänger J. J. lieber allen Schmerz heraus – gegen das Stillstehen scheint er allergisch, ruhelos läuft er von rechts nach links, von hinten nach vorne, und verbringt mit vollem Körpereinsatz auch einen Großteil des Konzerts auf Knien oder liegend. Diese gelebte Verzweiflung sowie das Feature von Agrypnie-Kopf Torsten lassen das Publikum mehr wollen. J. J. gibt dies etwas atemlos zurück, indem er während des Schlusssongs ‘Fire, Walk With Me’ den Fans im Fotograben ganz nah kommt.

Harakiri For The Sky @ Ragnarök 2023

Der Elefant im Raum: Veranstalter Ivo Raab über Nargaroth

Auch Einherjer und Naglfar liefern danach gute Auftritte. Bei letzteren fallen erste Fans auf Schultern auf und Sänger Kristoffer W. Olivius wirkt ehrlich begeistert, als er sich ausgiebig beim Publikum verabschiedet. Es ist der wohl bestbesuchte Auftritt des Festivals, danach leert es sich auffällig – und auch unter den Bleibenden wirkt es, als seien viele eher aufgrund der Kontroversen der folgenden Band als aus Fan-Gründen noch so spät in der Stadthalle.

Der Headliner am letzten Tag sind Nargaroth – ein Schritt des Festivals in eine Grauzone, aus der es sich doch eigentlich aktiv herauszuhalten versucht. Zwar liegen die Nazi-Vorwürfe (sowohl gegen das Festival, als auch gegen Nargaroths René „Ash“ Wagner) lange zurück, doch der sich gegen Rechts stellende Text auf der Webseite des Ragnarök muss nach wie vor die Position der Veranstaltung verdeutlichen.

Veranstalter Ivo Raab wiederholt auf Nachfrage die klaren Worte gegen den NSBM, die auf seiner Webseite prangen. Fans rechter Gruppen (im Fokus steht wie im Online-Statement Absurd) bezeichnet er als „Arschlöcher und Idioten“, dass die rechte Szene sein Festival nach einem alten Fernsehbeitrag für ein Kameradschaftstreffen hielt, bedauert er. Dabei betont er, NSBM-Fans „schon immer“ rausgeschmissen zu haben. Ein, zwei Burzum-Shirts scheint sein Personal in diesem Jahr zwar übersehen zu haben, aber sonst bestätigt der Eindruck vom Festival seine Aussagen – mehr als die im Metal verankerten Runen oder Eisernen Kreuze sind auf dem Ragnarök nicht zu sehen, dafür erfreuen Pride-Fahnen auf dem Campingplatz. Doch zurück zu Ivo und Nargaroth: Bereits 2015 war die Band auf dem Festival gebucht. Dies hielt Ivo für vertretbar, nachdem er sie an anderer Stelle, dem Metal Invasion in Straubing im Jahr 2014, abklopfte. „Ich hab mich ein paarmal mit ihm unterhalten und soweit passt das schon“, gibt er über Ash zu Protokoll. Rechte Tendenzen zeige der Musiker nicht (mehr) auf, „sonst würde ich den nicht buchen“.

Dennoch streift Ivo Probleme hinter den Kulissen. So vertrösteten Heretoir das Festival auf ein anderes Jahr, als sie die Bestätigung von Nargaroth sahen. Eine politisch brisante Aussage – doch auf Nachfrage klärt der Veranstalter auf, dass es dabei um persönliche Differenzen der Musiker gehe. „Dave (David „Eklatanz“ C., Sänger von Heretoir – Anm. d. A.) ist mit Torsten von Agrypnie befreundet. Dessen andere Band, Nocte Obducta, sind mal wegen geklauter Passagen mit Nargaroth aneinandergeraten“, so die Erklärung. Da Heretoir sich dahingehend mit Nocte Obducta solidarisieren, wollten sie – anders als Torsten von Agrypnie selbst, offenbar – nicht auf dem gleichen Festival auftreten wie Nargaroth.

Generell sei Black Metal nun einmal provokant und menschenverachtend, setzt Ivo fest. Man könne sich totsuchen – er selbst betreibe schließlich auch Recherche und erkläre ebenfalls Bands trotz musikalischer Vorlieben aufgrund faschistischer Gesinnungen für unhörbar. Wo man dann allerdings die Grenze ziehe, sei jedem selbst überlassen. Bei lange zurückliegenden Aussagen? Beim Label? Ebenso wenig wie nationalsozialistische Tendenzen, die den menschenverachtenden Teil der Musik lediglich in eine Richtung lenken, gefallen dem Veranstalter allerdings die Gegenstimmen auf Reddit oder Twitter. „Die extrem linken Szenen dort sind auch intolerant. Wenn die sagen, jemand dürfe dies oder das nicht wegen der politischen Einstellung, dann ist das nichts anders, als wenn jemand sagt, jemand dürfe etwas nicht, weil er Jude ist. Das ist effektiv gleicher Faschismus, bloß gegen eine politische Gesinnung oder Meinung eines Einzelnen.“ Bevor er diese Aussage spezifizieren oder mit seinen davor doch so eindeutigen Worten zum NSBM ins Verhältnis setzen kann, wird er im lebendigen Backstage-Bereich leider von einem Bekannten unterbrochen.

Nargaroth auf dem Ragnarök

Interessanterweise sind Nargaroth die einzige Band, die 2023 auf dem Ragnarök ein offizielles Meet & Greet veranstaltet. Vereinzelte andere Gruppen sind zumindest am Merchandise-Verkauf anzutreffen, doch Nargaroth halten für zwei Stunden ein knapp angekündigtes Fantreffen ab. Eigentlich, so Ivo Raab wenige Stunden zuvor, gebe es keine Autogrammstunden während der 18. Ausgabe des Festivals. Der Grund dafür seien Corona-Maßnahmen aus dem Vorjahr und dass sich in diesem Jahr niemand wieder darum gekümmert hätte, da das zuvor immer die Aufgabe von Partnern von außerhalb gewesen sei. Das hohe Polizeiaufkommen beim diesjährigen Ragnarök habe übrigens nichts mit umstrittenen Künstlern zu tun – es ergebe sich aus einem kürzlichen Mordfall in der Gegend, einem nahen Schießstand, sowie Metal-Fans unter den Beamten.

Trotz aller Versicherungen von offizieller Seite hat METAL HAMMER ganz genau hingeschaut. Nargaroths Auftritt fällt allerdings ereignislos aus. Erhobene Arme sind lediglich Pommesgabeln und Sänger Ash sticht nur dadurch ins Auge, wie leidenschaftlich seine Posen sind und dass seine Band als eine der wenigen während dieses Festivals Corpsepaint trägt und in Nieten erscheint. So bleibt das Ragnarök-Festival 2023, wie Ivo Raab es nüchtern formuliert, ein „stinknormales Festival“. Auf die gute Art.


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Annika Eichstädt
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