Lebensverändernder Prozess
MH: Dein Gedichtband versammelt Schriften und Lyrics mit einer stark verschlüsselten Bildsprache. Wie geht es dir, wenn du die heute durchblättest: Gibt es welche, von denen du sagst, das würde ich heute anders schreiben?
SvT: Meine Gedichte zusammen mit den Texten zu veröffentlichen, war ein Riesenschritt für mich! Das war immer ein anderes Biest als „normale Punk Rock-Texte“. Die Gedichte hatten für mich mehr die Funktion eines Tagesbuchs, sie hielten Gefühle und Gedanken fest, bevor sie für immer verschwinden. Und sie fungierten als Steinbruch für Song-Texte. Dabei muss ich betonen: Texte und Gedichte sind für mich zwei sehr unterschiedliche Dinge! Auch wenn sie durch meine Bilder und Wortwahl ähnlich auf dich wirken mögen. Aber Texte hängen eng an einem Rhythmus, sie müssen mit Vokalen, Silbenzahl und Kadenz an Tonfolgen anpassbar sein. Und die meisten Künstler werden wahrscheinlich Folgendes bestätigen: Wenn wir etwas schaffen, speziell etwas schreiben, dann wissen wir in dem Moment nicht unbedingt, worüber wir schreiben. Die Bedeutung ist dabei nicht unbedingt klar. Sie enthüllt sich oft erst sehr viel später. Manchmal Jahre später!
Du stehst auf der Bühne und singst… und schlagartig wird dir klar: DAVON handelte das! DAS war gemeint! Fast wie ein Wahrsagung. Deshalb finde ich, man muss mit Wörtern sehr vorsichtig umgehen. Musik und Gedichte sind das, was wir im Gespräch nicht ausdrücken können. Gedichte müssen nicht auf eine Musik passen, sie müssen ihre eigene Realität schaffen, ihren eigenen Sound, sogar ein Schriftbild. Du musst an diesen 4 oder 8 Zeilen arbeiten, bis sie fertig sind. Und ich habe das durchgezogen, bis ich 23 hatte – eine Zahl, die ich sehr mag. Da konnte ich es gut sein lassen. Ich habe mich dagegen entschieden, ihnen Titel zu geben, weil sie für sich stehen. Die Texte meiner sechs Soloalben sorgen dabei für Kontext. NO WILDERNESS DEEP ENOUGH ist eine lebensverändernde Platte, und die Gedichte zuzulassen, ein ebenso lebensverändernder Prozess, den ich erforschen möchte.
Autorenneuling Steve von Till
MH: Auf jeden Fall muss man mit diesen extrem kondensierten Nuggets arbeiten, sie geben ihre Bedeutung nicht von selber preis… Im Impressum dankst du einem Duncan Barlow?
SvT: Ein guter Freund, den ich seit Langem aus alten Punk Rock-Kreisen kenne. Er hat in zig Hardcore-Bands gespielt. Ab und zu waren wir zufällig gerade in derselben Stadt; wir haben über die Jahre Kontakt gehalten. Er ist mittlerweile Schriftsteller, verfasst sehr seltsame Romane und unterrichtet als Creative Writing-Professor an verschiedenen Unis, momentan an der University of South Dakota. Er leitet auch einen kleinen Buchverlag… Ihn habe ich um Rat gefragt, wie ich die Gedichte am besten rausbringe.
