Markenanmeldung: 2013, Entwicklungsstart: 2015, Ankündigung: 2018, erste Trailer-Veröffentlichung: 2021 – ‘Starfield’ ist für den Videospiel-Kosmos so etwas wie CHINESE DEMOCRACY für die Rock-Welt. Und wesentlich komplexer. Denn wo Axl Rose und seine Mi(e)tmusiker 2008 nach langer Wartezeit gerade einmal 14 neue Songs auf einem 71-minütigen Album veröffentlichten, legt das Bethesda-Entwicklerteam um Creative Director Todd Howard 2023 ein episches Science-Fiction-Rollenspiel für PC und Xbox Series S/X vor, in das ihr locker (mindestens) hunderte Stunden investieren könnt.
Die Macher der ‘Fallout’- und ‘The Elder Scrolls’-RPG-Reihen schicken euch ins 24. Jahrhundert. Eine Zeit, in der die Menschheit sich überall im Weltall angesiedelt hat; eine Zeit, in der brodelnde Konflikte und mysteriöse Artefakte eine gewichtige Rolle spielen; eine Zeit, in der ihr als Teil der Constellation-Fraktion auserkoren seid, die Weiten der Galaxie zu erforschen. Mehr sei an dieser Stelle aus Spoiler-Gründen nicht verraten. Außer: ‘Starfield’ wartet mit einer epischen Geschichte auf, die sich sehr gemächlich – beispielsweise durch auffindbare Audiologs und Texttafeln – entwirrt und von der ihr euch idealerweise unvoreingenommen überraschen lassen solltet.
‘Starfield’: unendliche Möglichkeiten in der Unendlichkeit des Alls
Die offene Spielwelt hält auf einer riesigen Sternenkarte über tausend Planeten bereit, die unterschiedliche Städte, Siedlungen, Naturgegebenheiten und Fraktionen beherbergen. Ähnlich umfangreich fällt das Tätigkeitsspektrum aus: In typischer Bethesda-Manier gestaltet ihr zunächst euren Charakter vom Scheitel bis zur Sohle. Anschließend nehmt ihr Constellation-Hauptstory- sowie optionale Fraktions- und Nebenmissionen an. Fraktionsmissionen erhaltet ihr, indem ihr bis zu fünf weiteren Fraktionen beitretet: The Constellation, Crimson Fleet, Freestar Collective, Ryujin Industries, United Colonies. Nebenmissionen findet ihr nahezu an jeder Ecke eurer Forschungsreise. Überall stehen Charaktere herum, mit denen ihr Gespräche führen könnt. Sie geben euch – mal relevante, mal vollkommen nebensächliche – Informationen, bitten euch um Gefallen und dienen euch als Versuchskaninchen, um euch in der Kunst der Überredung fortzubilden.
Egal, ob ihr mit Raumschiffen handelt, sie kapert und plündert, Crew-Mitglieder rekrutiert, befehligt und individualisiert, die Umwelt scannt und analysiert, gegen Piraten und andere Widersacher kämpft, Dogfights bestreitet oder vieles mehr: Im Spielverlauf sammelt ihr permanent Erfahrungspunkte und Ressourcen, optimiert eure Schiffe, Anzüge, Waffen sowie weiteres Inventar und erhaltet mit jedem Levelaufstieg Skillpunkte. Bestandene Skill-Herausforderungen belohnt das Spiel mit einem höheren Skill-Rang beziehungsweise verbesserten Fähigkeiten. Die Verwaltung erfolgt in fünf Fähigkeitsbäumen – Kampf, Körperlich, Sozial, Technik und Wissenschaft – und gestaltet sich auch für Bethesda-Neulinge weitestgehend intuitiv. Ein Hilfemenü, frei wähl- und beliebig wechselbare Schwierigkeitsgrade von „sehr leicht“ bis „sehr schwer“, eine Schnellreisefunktion oder die Wahl zwischen Ego- und Third-Person-Ansicht erweitern die zielgruppenübergreifende Zugänglichkeit zudem.
‘Starfield’: „nur“ ein Open-World-Rollenspiel – oder ein Fall für den Scheidungsanwalt?
Ein Spaziergang wird ‘Starfield’ dennoch nicht: Diverse Statusleiden wie Knochenbrüche, Lungenschäden oder Vergiftungen setzen euch gewaltig zu und schicken euch auf die Jagd nach passenden Heilmitteln. Fallt ihr durch kriminelle Aktivitäten wie Körperverletzung, Diebstahl oder Schmuggel auf, macht das wachsame Auge des Gesetzes hingegen Jagd auf euch und zitiert Bon Jovi: ‘Wanted Dead Or Alive’.
Abseits inhaltlicher Hürden will die durchdachte, aber komplexe Bedienung über lange Zeit hinweg verinnerlicht werden, bis sie in Fleisch und Blut übergegangen ist. Angesichts der mannigfaltigen Möglichkeiten fühlt man sich in den ersten Spielstunden ebenso fasziniert wie erschlagen. Im Kern Rollenspiel, aber auch Strategietitel und nicht zuletzt starker Shooter, dessen Mechanik sich nicht hinter hundertprozentigen Action-Spielen verstecken muss: ‘Starfield’ sollte je nach Familienstand mit einem Urlaubsantrag oder Scheidungspapieren ausgeliefert werden.
Die massive Zeitinvestition lohnt sich alleine für die zwischen früheren Bethesda-Veröffentlichungen, ‘Mass Effect’, ‘Half-Life’, ‘Star Wars’ und ‘Dune’ verortete Atmosphäre: Inon Zurs (unter anderem ‘Fallout’, ‘Dragon Age’) geschmackvolle, gänsehautfördernde Musikuntermalung und an die Umgebungen angepasste Klangeffekte verleihen ‘Starfield’ cineastisches Flair, die detailreiche, saubere, beinahe ruckelfreie 30-Bilder-pro-Sekunde-Optik steigert den thematisch vorgegebenen Forschungsdrang zusätzlich.
Apropos „ruckelfrei“: Konträr zu jüngeren Bethesda-Rollenspielen, aber auch anfänglichen Mitbewerber-Debakeln wie ‘No Man’s Sky’ oder ‘Cyberpunk 2077’ präsentiert sich ‘Starfield’ technisch auf Anhieb weitestgehend stabil. Abgesehen von einigen Kinderkrankheiten wie spürbaren Ladezeiten bei Planetenwechseln oder leicht asynchronen Lippenbewegungen (in der von uns getesteten deutschen Xbox Series X-Version) läuft das Sci-Fi-Action-Rollenspiel flüssig.
‘Starfield’: Fazit
Mit CHINESE DEMOCRACY darf ‘Starfield’ also nicht nur wegen des langen Entwicklungszeitraums, sondern guten Gewissens auch aufgrund des positiven Ersteindrucks in einem Atemzug genannt werden. Ob das Spiel das Zeug hat, langfristig zu einem APPETITE FOR DESTRUCTION-Pendant beziehungsweise 7/7-Kandidaten aufzusteigen, wird die Zeit zeigen. Wünschenswert wären neben kürzeren Ladezeiten unter anderem eine kompaktere Erzählweise, eine stärkere Individualisierung der teils ähnlich konzipierten Planeten oder auch ein alternativer Performance-Modus mit 60 Bildern pro Sekunde. Und natürlich eine Maschine, um die Zeit anzuhalten – und einer Kündigung beziehungsweise Scheidung zu entgehen!