Für den ein oder anderen Metaller mag dieser Abend eine Zeitreise sein: Sum 41 machen auf ihrer Abschiedstournee Halt in Berlin. Da sicher einige ihren Weg zu härteren musikalischen Spielweisen erst über den Pop Punk fanden, hat sich METAL HAMMER aufgemacht, den kanadischen Genre-Ikonen die letzte Ehre zu erweisen.
Neck Deep heizen ein
Bevor ein letztes Mal im Sound der Zweitausender den ewigen College-Kids gehuldigt wird, spielen Neck Deep als Opener. Ihr Band-Name hängt in aufblasbaren Lettern über der Bühne, ziert ein Banner in Optik einer graffitibesprühten Mauer. Alles ist bunt, und eine ähnliche Energie bringen die Waliser mit. Selbst mit Sum 41 aufgewachsen, spielen sie in ähnlichem Stil und machen auch keinen Hehl daraus. „Es ist traurig, aber sie werden mit einem Knall abdanken“, gibt Sänger Ben Barlow einen Ausblick auf das Kommende. Dazu passend setzen Neck Deep größtenteils auf ihre fröhlicheren, energischen Songs, anstatt sich in mit der Emo-Szene liebäugelnden älteren Tracks zu verlieren.
Politische Seitenhiebe
Die gute Laune springt über: Die bereits früh volle Uber Eats Music Hall (die Halle, in der METAL HAMMER im Sommer seine Awards zelebrierte) feiert mit. Barlow nutzt die Bühne samt Steg vollständig, motiviert alle Ecken des Publikums, und Gitarrist Matt West hilft mit Sprüngen und anheizenden Gesten, die Stimmung aufrechtzuerhalten. Wer im Pit mitmacht, wird gezielt gelobt, und auch sonst referenziert die Band gerne einzelne Personen. Barlow leitet ‘Take Me With You’ mit einer Erwähnung von Blink-182-Sänger und -Gitarrist sowie Alien-Fan Tom DeLonge ein, und auch für ein zeitlich passendes – das Konzert findet zwei Tage vor der US-Wahl statt – „Fuck Donald Trump“ ist sich der Brite nicht zu schade.
Typisch Punk folgt eine sozialpolitische Rede und ein Hervorheben der Einigung durch Musik: „Die Leute um euch herum sorgen sich vermutlich mehr um euch als es je ein Politiker getan hat“, meint Barlow und erntet Applaus. Die Überleitung erfolgt schließlich bescheiden: „Wenn es Sum 41 nicht gäbe, wären wir auch keine Band. Es ist eine Ehre, dass wir vor ihnen spielen dürfen.“
Sum 41: Musikalischer Rundumschlag
Sum 41 springen schließlich inmitten aufsteigender Flammen auf die Bühne. ‘Motivation’ als Eröffnung der „Tour Of The Setting Sum“ ist eine gute Wahl, die Fans jubeln und singen lautstark mit. Rasch lässt die Band zur allgemeinen Freude auch noch Dampf und pinkes Konfetti folgen. Die Spielereien sollen aber mitnichten darüber hinwegtäuschen, dass Deryck Whibley und Co. altersmüde geworden sind – das Quintett ist energetisch, vor allem der Frontmann springt aufgeweckt über die Bühne. Über ‘The Hell Song’ und ‘Over My Head (Better Off Dead)’ spielen sich die Kanadier bis zum (nach eigenen Angaben) meistgeforderten Song ‘Noots’. Whibley kommentiert erfreut: „Und ich dachte, die Welt hätte genug von uns gehört.“
Deryck Whibleys verlorene Gitarre
Danach fühlt sich Team METAL HAMMER angesprochen: Der Sänger fragt nach der Anwesenheit von Metalheads im Publikum – einige fühlen sich angesprochen. Sum 41 lassen das schwungvolle ‘We’re All To Blame’ folgen. Im Stehbereich entsteht ein Circle Pit und auf den Rängen stehen die Fans mittlerweile auf ihren Sitzplätzen. Deryck Whibley weiß, auch in der Mitte des Sets die Aufmerksamkeit auf sich zu behalten. Nach dem Hit ‘Screaming Bloody Murder’ wechselt er zum wiederholten Mal die Gitarre – doch diese hat eine besondere Geschichte.
Der Sänger erzählt, wie er das Instrument im Alter von 18 Jahren kaufte und für die Aufnahmen der Debüt-EP HALF HOUR OF POWER (2000) und des gefeierten ersten Albums ALL KILLER, NO FILLER (2001) nutzte. Aufmerksame Fans kennen die Gitarre außerdem aus den Videos von ‘In Too Deep’ und ‘Fat Lip’. Dann allerdings wurde sie aus seinem Haus gestohlen, war jahrelang verschwunden, bis er sie nur sechs Wochen vor dem Konzert wieder zurückerhielt – was für eine Story!
Gebührender Abschied
Weiter geht die Zeitreise mit ‘Walking Disaster’, nach dem der Frontmann auch sein jüngst erschienenes Buch benannte, sowie dem ersten Song, für den Sum 41 je ein Video produzierten: ‘Makes No Difference’. Es folgt das zweite Album DOES THIS LOOK INFECTED? (2002) in Form eines Medleys im Schnelldurchlauf, bevor nach einem kleinen Energieabfall die Dauerbrenner ‘Fat Lip’ und ‘Still Waiting’ durch die Halle dröhnen. Letzteres kann das Berliner Publikum auch ganz ohne Instrumentierung verlässlich mitsingen – die Band dankt. Dann verschwindet die Truppe um Teilzeit-Flummi Whibley von der Bühne, und ob der emotionslosen Schlussworte lässt sich die Zugabe bereits erahnen.
Natürlich folgt sie und um den Höhepunkt ‘In Too Deep’ herum lässt der Sänger auch eine dem Anlass gerechte Abschiedsrede folgen. „Danke für die Jahre, die Unterstützung und die Liebe – wir werden euch vermissen“, ruft er und erntet großen Beifall. Noch als Sum 41 die Bühne nach über zwei Stunden Spielzeit längst verlassen haben, schallen Song-Zeilen durch den Raum – ein gebührendes letztes Set!
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